Egalität hat jüdische Wurzeln

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Thema: schöpfungsglaube

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Thema: schöpfungsglaube

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Der Talmud erläutert die Bedeutung der Schöpfungserzählung vom ersten Menschen folgendermaßen: "Wenn einer wider den anderen aufsteht und erklärt: Ich bin größer als du, ich bin mächtiger als du, denn mein Vater war König und dein Vater war nur Sklave, so kann der andere antworten: Aber dein Urgroßvater und mein Urgroßvater waren ein und dieselbe Person."

Der Schöpfungsbericht verankert die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen und ihre Gottesebenbildlichkeit in unser kulturelles Gedächtnis. Deshalb hat die neue Rechte - auch in der katholischen Kirche - sehr recht mit ihrem Misstrauen: Egalitäre Wertesysteme haben ihre Wurzel in der jüdischen Tradition. Wo der Kirche der jüdische Einfluss ein Dorn im Auge ist, gelten auch Freiheit von Gewissen, Aufklärung und die Wertschätzung der menschlichen Vernunft wenig. Józef Niewiadomski, Dekan der katholischen Fakultät in Innsbruck, verweist zu Recht darauf, dass einer der großen Theoretiker der neuen Rechten, Alain de Benoist, das Zweite Vatikanische Konzil als "Judaisierung" des Katholizismus bewertete. Der Schismatiker Marcel Lefebvre machte im Konzil gar satanischen Einfluss aus: weil es die Menschenrechte und die Gleichheit aller Menschen anerkannte. Ich lerne von Niewiadomski: Wenn der Papst heute den Feinden des Zweiten Vatikanischen Konzils die Türen der Versöhnung öffnet, so stärkt dies eine Ideologie der Ungleichheit und Intoleranz und fördert damit auch die Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft. Folgt man dagegen der rabbinischen Lehre, nach der der Mensch ohne Fehler geboren wird, den es zu berichtigen gelte, ist zur Umkehr kein Erlöser notwendig. Jeder hat die Möglichkeit, sich des bösen Triebs selbst zu erwehren. Die Vernunft wird so zum Maßstab menschlichen Handelns und lehrt uns, dem eigenen Tun größte Aufmerksamkeit zu schenken .

Der Autor ist Rabbiner und Rektor in Potsdam

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