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Christus in der Demokratie

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Anläßlich der feierlichen Einführung des Kreuzbildes in das brasilianische Abgeordnetenhaus hielt der republikanische Abgeordnete M u n h o z da Rocha, der erste Sekretär des Hauses, eine Rede, deren grundsätzliche Umrisse auch außerhalb Brasiliens besondere Beachtung verdienen:

Man sagt, wir, die Südamerikaner, hätten die Aufgabe, eine Art von Zivilisation zu verteidigen, die man die des europäischamerikanischen Menschen nennen könnte; die Hand des Europäers sei schwach geworden, sie könne nicht mehr die Last für die Aufrechterhaltung alter Erbgüter ertragen, einer Tradition, die nun auf der amerikanischen Seite des Ozeans fortgeführt werde. Man unternimmt den Versuch, den Begriff „europäischer Mensch” zu definieren; aus der Definition würde sich dann ergeben, ob es sich überhaupt der Mühe lohne, diese europäische Zivilisation zu verteidigen. So- rokin sieht das Grundmerkmal des Europäers im Aktivismus, im Gegensätze zur fatalistischen Passivität des Orientalen, Keyserling sieht den Individualismus, Spengler den Dynamismus, die innere Unruhe des faustischen Menschen, der die Unendlichkeit sucht, wo er sie nicht zu finden vermag. R e y n o 1 d nahm den Dynamismus wahr, über allem die christliche Eingebung. Maritain begriff die Tiefe, mit der das Christentum uns gezeichnet hat. — Man wird uns vielleicht erwidern, das seien Philosophen, die über den Wolken wandelten und das Leben unter sich ließen. Aber es war Roose- v e 11, der Staatsmann, der die Regierungsprobleme und die Nöte der Zeit selbst lebte, der es aussprach, daß die Demokratie, das heißt jenes System, das nach unserer Überzeugung das einzige ist, in dem man in Würde leben könne, ihre E i n- gebung aus dem Christentum empfange.

In dieser Erkenntnis, und nur in dieser, liegt die Begründung für die Notwendigkeit einer Verteidigung gewisser Kulturstile, an die wir uns gewöhnt haben, und die wir für die besten halten. Der Rest, wie zum Beispiel das Wirtschaftssystem, isc eine Einzelheit. Und dennoch klammern wir uns gerade an Einzelheiten, verwechseln die Motive, vermengen, was gut und böse, was Grundsatz und was Beigabe ist.

Unsere Demokratie erhält ihre irrige Auslegung durch die politische Macht des Geldes. Der öffentliche Sinn hat sich von den kulturellen Werten abgewendet, die verschiedensten Egoismen üben ihr verwirrendes Werk. Je intensiver das gesellschaftliche Zusammengedrängtsein, desto geringer die Solidarität, der Gemeinschaftsgedanke. Unersättlich machen persönliche Interessen die Runde. Verloren der Geist der Opferbereitschaft, die Fähigkeit zu verzichten, alles richtet den Blick aufs unmittelbare. Und diese Einstellung läßt Christum vergessen. Erst dann, wenn die Menschen inmitten ihrer Geschäfte und Dividendenrechnungen vom Osten her Kampflärm hören, flüchten sie, bleich vor Angst, zu Christus. Dann erst rufen sie aus, man müsse Christus und die christliche Zivilisation verteidigen; aber es ist ihre Zivilisation, die, die sie selbst sehen, eine Zivilisation der Fassade, und nicht einmal einer gutgepflegten Fassade. Dieser Geisteszustand genügt nicht, um eine Zivilisation am Leben zu erhalten. So können die Völker vielleicht Kriege gewinnen, aber eine Revolution werden sie mit dieser Geisteshaltung nicht gewinnen oder besiegen. So wird auch die Demokratie nicht unsere Zeit überleben, eine Demokratie, die durch ihre Interpretation eine Quelle von Mißverständnissen ist. Es hat eine Zeit gegeben, da konnte die Demokratie es sich leisten, keine prinzipielle Weltanschauung zu haben. Nun- aber, da man in änderen Teilen der Welt zu sehr scharfumgrenzten Auffassungen gekommen ist, von den bequemen Traditionen entscheidend abgewichen ist, gibt es keine Teilnahmslosigkeit und kein Achselzucken mehr. Es gibt eine Welt, die bereit ist, für ihre Ideale zu leiden, wenn die Opfer auch nur einen Schritt näher zur Verwirklichung führen. Und es gibt eine andere Welt, die dazu nicht entschlossen ist. Niemand stirbt für ein poli tisches oder gar für ein ökonomisches System, das seine Einstellung zum Leben nicht definiert und das überhaupt nicht eine sehr genaue Definition zu geben hat; mag die Auslegung geistig oder materialistisch sein, ohne klare Ziele bleibt man kraftlos.

Im Rahmen unserer Überlieferung kann einzig und allein in der Rückkehr zu Christus die nötige Definition unserer Ziele und Aufgaben gegeben werden und können sich jene inneren Kräfte und Energien wieder einstellen, die dem großen Anmarsche aus nicht- europäischen Gegenden den W eg verlegen., Wir sprechen nicht von einem Scheinchristentum, das nur mühselig eine soziale und wirtschaftliche Struktur verdeckt, die genau so materialistisch ist wie die, die zu bekämpfen man vorgibt. Wir sind nicht ausgezogen, Wechsler und Händler zu verteidigen. Nur die ehrliche, volle Rückkehr zu

Christus Kann der Demokratie den Sinn verleihen. Ohne Christus kann auch die Demokratie zu einer verrückten Idee absinken. Das Christentum hat als die große befreiende Botschaft die wesentliche Gleichheit der Menschen verkündet. Als Amerika und Brasilien ins Leben traten, hörten sie bereits diese Botschaft. Die ganze menschliche Familie kann sich wieder erheben und kann sich wieder retten durch die Hinkehr zu dem Geiste brüderlicher Gemeinschaft aller mit denselben natürlichen Rechten und letzten Zielen geborenen Menschen. In dem Wissen um diese Gemeinschaft liegt das Gegengift gegen die nationalistischen Übersteigerungen unserer Zeit, die eine heidnische Erbschaft sind. Übersteigerungen, die im Ausländer jenen Feind erblicken, den man besiegen und versklaven muß, den, der ein niedrigeres Wesen ist. Diese Übersteigerungen hatten den Nazismus und Faschismus gezeugt.

Das Christentum ist ausgleichend und universal und ist sehr, sehr entfernt von dem, was dem Universalismus und einer richtig verstandenen Gemeinschaft der Völker widerspricht: vom internationalen Kapitalismus und von der kommu nistischen Ideologie. Von diesem internationalen Kapitalismus ohne Fahne, ohne Farbe, aber auch ohne Einschränkungen, ohne jedes Solidaritätsgefühl, aber auch von der kommunistischen Ideologie. In einem Parlament gibt es v’e e’ die Christus leugnen. Es ist ihr demokratisches Recht, das ihnen niemand bestreitet. Unter diesen, die Christus nicht annehmen wollen, gibt es Menschen — häufiger als man meint —, die mehr menschliches Verständnis aufbrin- gen und mehr Nächstenliebe hegen als viele, deren Christentum ein gewohnheitsmäßiges ist, ein konventionelles, ein totes Christentum.

Nur ein lebendiges Christentum kann jenen Mut schaffen, jenen Bekennermut, jene Begeisterung, jene Sicherheit in der Stellungnahme zu den Lebensfragen der Menschheit, welche die Erneuerung der Menschheit herbeizuführen vermag. Mit jenem Christentum als Waffe werden wir auch jenen tiefgreifenden Veränderungen begegnen, die heute an unser Tor pochen. Man spreche nicht vom Ende einer Zivilisation, man habe den Mut, für den Beginn einer neuen Zeit zu kämpfen!

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