Kalaschnikow heißt der Mann

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Keinen einzigen Rubel bekam Michail Kalaschnikow für seine Erfindung: das legendäre, nach ihm benannte Sturmgewehr.

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Keinen einzigen Rubel bekam Michail Kalaschnikow für seine Erfindung: das legendäre, nach ihm benannte Sturmgewehr.

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Tagtäglich kommt sie in aktuellen TV-Berichten ins Bild, Afghanen schwingen sie ebenso drohend wie Afrikaner, Kosovo-Albaner oder lateinamerikanische Guerilleros: die "Awtomat Kalaschnikow", das russische Sturmgewehr, 1947 entwickelt und seither im rasant gewandelten Arsenal der Welt nicht veraltet. Weil die AK-47 in ihrer technischen Beschaffenheit robust und simpel und zudem billig zu produzieren ist. Sandstürme, arktische Kälte, Schlamm und Wasser machen ihr gar nichts aus. Sie funktioniert stets zuverlässig.

Vor der Wende in mehreren Varianten die infanteristische Standardwaffe der Armeen des Warschauer Paktes, ist sie heute in circa 90 bis 100 Millionen Stück global verbreitet. Der Konstrukteur, Genosse K., lebte als mysteriöse Unperson in der nach außen hermetisch abgeschirmten Rüstungsindustriestadt Ischewsk, westlich des Ural: Michail Kalaschnikow, nun ein Endsiebziger, General honoris causa. An der Uniform trägt er den wiedergestifteten, traditionsreichen Wladimir-Orden der Ära Boris Jelzins neben dem Lenin-Orden der sowjetischen Vergangenheit.

In seinem Geburtsjahr 1919 ist Bürgerkrieg zwischen den Roten und den Weißen. Die Kindheitseindrücke des Bauernsohnes: jene grauenhafte Hungersnot, die auch die meisten seiner Geschwister nicht überstehen. 1931 macht sich der Vater irgendwie verdächtig, das geht unter Stalin sehr rasch. Die Familie wird aus dem heimatlichen Altai-Gebiet nach Sibirien verbannt. Doch Michail gelingt es, mit einem gefälschten Entlassungsschein freizukommen.

Er wird schließlich Traktorfahrer und ohne geregelte technische Ausbildung interessiert er sich für die Erzeugung von Agrarmaschinen. Als Stalin in der prekären Situation nach den ersten deutschen Offensivschlägen alle Sowjetbürger, ob Kommunisten oder Parteilose, zum "Vaterländischen Krieg" aufruft, meldet sich Kalaschnikow zur Panzertruppe. Im Fronteinsatz wird ihm klar, daß die Rote Armee dem Gegner an Feuerkraft unterlegen ist. "Ich sah, wie die deutschen Soldaten schießend über das Schlachtfeld liefen. Unsere eigenen Waffen waren veraltet."

Dieser Gedanke läßt ihn nicht mehr los. Nach dem Krieg befaßt er sich mit Konstruktionsversuchen, ausgehend von erbeuteten Stücken des deutschen Sturmgewehrs 44. Offen gibt er zu, daß jene, bei der Wehrmacht spät und relativ selten verwendete Waffe für ihn der Prototyp war. In den ersten Jahren nach der Einführung der AK-47 gilt strengste Geheimhaltung, es ist verboten, Soldaten mit der neuen "Jahrhundertwaffe" zu fotografieren.

Niemals läßt die Sowjetunion das Gewehr patentieren, erteilt aber ihren Satelliten Lizenzen, nicht gerechnet die "illegalen" Nachbauten außerhalb des Ostblocks, etwa in obskuren Büchsenmacherwerkstätten Pakistans. Kalaschnikow wird Abgeordneter des Obersten Sowjet und erhält Auszeichnungen aber keine nennenswerte finanzielle Honorierung. Sein "Konkurrent" in den USA, der Konstrukteur des Sturmgewehrs M 16, verdient an der Massenfabrikation ein Vermögen. Der Waffenspezialist in Ischewsk hingegen führt all die Zeit das Leben eines durchschnittlichen Genossen.

Ab 1989 kann er, nicht mehr anonym, nein, als VIP präsentiert, ins Ausland reisen und gibt im Westen Interviews. Auf die Frage, wie er damit zurechtkomme, daß die AK-47 weltweit zahllosen Menschen den Tod bringe, erwidert er: "Die Kugel selbst ist bloß ein Stück Blei. Die Verantwortung für ihren Einsatz lastet voll auf dem Gewissen der Politiker. Die Waffe ist doch nur der Mittler im ewigen Zweikampf zwischen Gut und Böse."

Längst redet niemand mehr von dem stalinistischen Superaktivisten Stachanow, den die Propaganda einst zum Übermenschen stilisierte. Kalaschnikow indes ist in Rußland enorm populär, man plant, ein eigenes Museum für ihn zu errichten und sogar ein Wodka wird nach dem Mann benannt, der selbst seit je den Hochprozentigen verschmäht. Er publiziert seine Autobiografie und hat es endlich zu einer eigenen Datscha gebracht. Gern und oft geht er auf die Jagd und als großer Naturfreund verpflanzt er behutsam junge Bäume aus dem Wald auf sein Grundstück. Die idyllische Liebhaberei eines friedlichen Seniors ...

Furche-Serie, Letzter Teil Hinter dem Begriff: ein Mensch Gunther Martin stellte in loser Folge Personen vor, deren Namen als Begriff fast alle, deren Biographie aber nur wenige kennen.

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