Orientierung im weiten Land politischer Beratung

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Das Jahrbuch für politische Beratung 2011 als "klassische Alternative“ - Herausgeber wollen nicht einen wissenschaftlichen Band sondern einen politischen präsentieren.

In keiner Zeit gab es so viele Berater und Ratgeber, wie in der unsrigen. Ich habe über 100 Berater vom Alters- bis zum Zinsberater gezählt. Dieses "Berater-ABC“ entspricht der Komplexität des modernen Lebens und der damit verbundenen Ratsbedürftigkeit des modernen Menschen. Für viele sind Freiheit und Verantwortung zu schwer. Beratung wird gerne als Aufklärung verkauft. Ein Heer von Experten steht bereit, einem zu sagen, was gut und recht ist. Politik wurde total und global. Daher wurde Politikberatung ein sehr weites Land mit sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen.

Thomas Köhler und Christian Mertens legen ein gescheites Buch vor. Ihr Vorwort "Wie politisch ist Politik? - Guter Rat, zumal politischer ist der Politik teuer!“ zeigt das Problem auf und ist ein Bekenntnis: zum längerfristigen, zur tiefgreifenden Reflexion und weitgreifenden Strategie zum Profunden, nicht zum Profanen.

Indem sie statt dem Ausdruck "Politikberatung“ den Begriff "politische Beratung“ wählen, wollen sie nicht einen wissenschaftlichen Band, sondern einen politischen präsentieren. Es geht ihnen um die "Politisierung der Politik“ durch politische Beratung.

Die Plätze des Politischen und der Politik

Sie nennen ihre Diskursfelder bewusst und bedeutungsreich "Agora“, "Forum“ und "Market“. Auf der "Agora“ geht es um Geistiges und um Gedanken, was Politisches und Politik bzw. politics und policy unterscheidet. Auf dem "Forum“ werden Kreativitäts- und Innovationsquellen von Politischem und Politik und Netzwerke, Thinktanks, Referenten, Sekretäre und Agenda-Setting behandelt. Im Kapitel "Market“ geht es um die kommerziell orientierten Consultings und Lobbings, um Spin-Doktoren und politische Communicators.

Václav Havels Prolog "Das Wort als Rat der Politik“ ist kein "Prolog im Himmel“, sondern ein Prolog aus dem Himmel. Havel schreibt: "Am Anfang war das Wort, heißt es auf der ersten Seite eines der wichtigsten Bücher, die wir kennen.“ Und er endet: "Ob wir uns das bewusst machen oder nicht, wie immer wir uns das auch erklären, eines scheint offensichtlich zu sein: An die weltbewegende Macht des Wortes glauben wir seit jeher - und in gewissem Sinne mit Recht.“

Moderne Politik ist total

Nicht nur aus alter Freundschaft empfehle ich, mit Anton Pelinkas Beitrag "Professionalisierte Parteilichkeit“ zu beginnen. Er behandelt die wissenschaftliche Politikberatung im internationalen Vergleich, typologisiert und gewichtet, arbeitet die Besonderheiten der österreichischen Situation - die soll man wissen - heraus und verdichtet die vorliegenden Erfahrungen mit wissenschaftlicher Politikberatung zu einer "Kultur der Politikberatung“. Man erhält auf diese Weise nicht nur einen Überblick über den "State of the Art“, sondern auch über die geforderten Wissenschaften. So sind im "Policy-Bereich“ praktisch alle Wissenschaften gefragt: Medizin in der Gesundheitspolitik, Wirtschaftswissenschaften in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, Soziologie in der Sozialpolitik, Erziehungswissenschaften in der Bildungspolitik. Moderne Politik ist total. Daher können alle Wissenschaften mehr oder weniger ihre Rolle spielen. Im Politics-Bereich dominiert die Politikwissenschaft.

Da auch dieser Bereich immer mehr wird, haben PolitologInnen ständig mehr und neue Chancen. Die Amerikanisierung der österreichischen Politik bewirkt auch eine solche der Politikberatung.

Für die Zukunft ist die Frage, wer oder was ist ein Politiker, die Georg Kreisler chansoniert hat, von Bedeutung: Wie ticken Politiker? Politiker sind "Poly-ticker“. Sie arbeiten meist ohne die Vorbildung und Schulung, die in anderen Berufsbereichen notwendig sind. Sie sind wie JournalistInnen die letzten, die keine Schulzeugnisse brauchen. Das heißt nicht, dass beide Gruppen nichts lernen müssen, im Gegenteil. Sie sind ja die letzten Universaldilettanten, und die lernen meist gerne dazu. Sie müssen ständig dazulernen.

"Gender“ darf in einem solchen Band nicht fehlen. "Der Wettbewerb um die besten Talente wird von jenen Organisationen gewonnen werden, welche die Einbindung, die Förderung und den Aufstieg von Frauen zur obersten Priorität machen“, zitiert Marie-Theres Euler-Rolle Deloitte Touche Tohmatsus "Paths to Power - Advancing women in gouverment“ (2011). Allein gegen die Old-Boys Networks? Euler-Rolles Erkenntnis, "dass es viel einzigartiges ungenütztes Potential gibt“ und dass Österreich jetzt noch auf den Zug der Zeit aufspringen kann, sei allen Organisationen ins Stammbuch geschrieben, insbesondere den Parteien.

Köhler und Mertens haben ein sehr gescheites Buch herausgegeben, dessen Beiträge voneinander unabhängig sind und selbstständig gelesen werden können. Werden es Politiker lesen? Politikerinnen wahrscheinlich schon. Diese politische Beratung sei darüber hinaus allen politischen Menschen an Herz und Hirn gelegt. Und das sollten in einer demokratischen Republik ja alle Menschen sein, oder?

Jahrbuch für politische Beratung 2010/2011

Eine klassische Alternative.

Von T. Köhler, C. Mertens. Böhlau 2011

377 Seiten, kartoniert, e 39,00

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