Viele gute Ratschläge für ratlose Politik

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Zum zweiten Mal haben die Historiker und Publizisten Thomas Köhler/Christian Mertens ein "Jahrbuch für Politische Beratung" vorgelegt. Von der Philosophie über Politologie bis hin zu Kunst und Medien wird ein weiter Bogen gespannt.

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Zum zweiten Mal haben die Historiker und Publizisten Thomas Köhler/Christian Mertens ein "Jahrbuch für Politische Beratung" vorgelegt. Von der Philosophie über Politologie bis hin zu Kunst und Medien wird ein weiter Bogen gespannt.

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Wer Thomas Köhler und Christian Mertens kennt, weiß, dass sie es nicht billig geben. Im Vorwort zu ihrem "Jahrbuch für Politische Beratung 2012/13" schreiben sie, dieses wolle "sich bewusst nicht mit Jahrbüchern ähnlichen Namens vergleichen, die sich eher der Abbildung des Faktischen denn der Beleuchtung des Hintergrunds [...] ehrenwert verpflichtet haben". Soviel Distinktion muss sein. Die Herausgeber des traditionsreichen "Österreichischen Jahrbuchs für Politik" rund um Andreas Khol werden es verschmerzen. Der Anspruch des Besonderen wird auch durch die - von anderen Köhler/Mertens'schen Publikationen ("Stromaufwärts", "Stromabwärts") bekannte -Liebe zur Metaphorik dokumentiert: "Agorá","Forum","Market" sind die einzelnen Teile überschrieben, unter denen sich wiederum Stichworte wie "Innerlichkeit", "Kabinett", "Partner", "Stiftung" oder "Affairs" finden.

Kein Staat mit Idioten zu machen

Gewissermaßen als programmatisch für das die Herausgeber leitende Verständnis von Politik steht der Beitrag ("Prolog") des (Damals-Noch-)Wissenschaftsministers Karlheinz Töchterle. Er konstatiert, ausgehend vom viel zitierten "Ende der großen Erzählungen", einen "Verlust an Kohärenz", der auch einem übertriebenen Individualismus Vorschub leiste. Schon den Griechen freilich galt, wer sich nur um die eigenen Angelegenheiten (idíon) kümmerte, als idiótes. Mit ihm lässt sich buchstäblich kein Staat machen. Die Antworten auf die Frage, wie unter gegenwärtigen multimedialen Bedingungen dem Politischen wieder mehr Respekt zu verschaffen wäre, bleiben freilich auch bei Töchterle vage: ein "Diskursschwenk in den Medien", eine "neu zu denkende politische Bildung" und ein "unverdächtigerer Patriotismus für unser zusammenwachsendes Europa" stehen am Schluss seiner Überlegungen.

"Diskursschwenk der Medien", schön und gut - aber: "Wie soll man etwas über die zukünftige politische Rolle der Medien sagen können, wenn noch nicht einmal jemand mit Bestimmtheit sagen kann, was wir morgen meinen werden, wenn wir 'Medien' sagen?" fragt der Journalist Michael Fleischhacker. Er verkündet hier (noch) nicht den Tod der Zeitung, stellt aber die Rolle der Medien als "vierte Gewalt" massiv in Frage. Dem Autoritätsverlust der Politik steht der Verlust der Deutungshoheit des klassischen Journalismus gegenüber: keine rosigen Aussichten, gemessen jedenfalls an unserem überkommenen Verständnis von demokratischer Politik. Welche neuen Wege hier die von Fleischhacker genannte "digitale Öffentlichkeit" weist, bleibt abzuwarten.

Und die von Töchterle eingemahnte politische Bildung? Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, vermisst unabhängige Think Tanks in Österreich - was er mit dem das Land "stark prägenden Korporatismus" in Verbindung bringt. Auch auf dem Bereich der politischen Vorfeldarbeit waren die Einflusssphären zwischen Rot, Schwarz (und Blau) lange fein säuberlich abgesteckt - für unabhängige Denkfabriken gab es da wenig Platz. Als positives Gegenbeispiel der jüngeren Zeit nennt Neumayer die liberal orientierte "Agenda Austria". Schon deutlich länger und auf ganz anderen Feldern tätig ist das ursprünglich aus dem Ost-West-Konflikt (und mit höchster kirchlicher Unterstützung) im Jahr 1982 geborene "Institut für die Wissenschaften vom Menschen".

Gleichheit des Mittelmaßes

Einer der besten und klügsten Ratschläge in diesem Band stammt indes von einer Dame - und zwar von der deutschen Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig. Ziemlich schonungslos zerpflückt sie das Phänomen "Political Correctness":"Eine von irgendjemandem, auf jeden Fall aber einer Minderheit, ins Spiel gebrachte Position erschleicht sich die Herrschaft, indem sie durch Inanspruchnahme einer höheren Moral die Gegenmeinung ächtet, die Gefolgschaft derer sichert, die auf dem Zug des Zeitgeistes ganz vorne mitfahren möchten und diejenigen zum Schweigen bringt, die sich bereits in der Minderheit wähnen [...]" Klarsichtig arbeitet Zehnpfennig heraus, dass den Kern der Political Correctness - von Fragen der Umverteilung über solche der Bildung bis hin zu den Themen Gender und sexuelle Orientierung - die Idee bildet, dass Ungleichheit Ungerechtigkeit sei. Dem hält sie entgegen, dass Gleichheit immer nur eine "Gleichheit des Mittelmaßes" sein könne.

Was das mit der Krise von Politik und Demokratie zu tun hat? Es käme darauf an, so die Autorin, "Persönlichkeiten heranzubilden, die der Demokratie eben dadurch dienen, dass sie sich ihr dort entgegenstellen, wo sie sich durch die Preisgabe der Differenzen und der Differenziertheit selbst den Boden zu entziehen droht". Wo aber sind die Politiker, die solcher Beratung zugänglich wären?

Jahrbuch für Politische Beratung 2012/2013

Hg. von Thomas Köhler, Christian Mertens

edition mezzogiorno 2013

368 Seiten, Softcover, € 39,00

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