Jüdische Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Haifa - Geflüchtete, vertriebene, geschleuste europäische Jüdinnen und Juden bei ihrer Ankunft 1946 im jungen Staat Israel, in dem sie bald mit ihrem alten Kriegsschicksal aufs Neue konfrontiert sind.<br />
  - © Tyrolia Verlag

Der Exodus durch Tirol

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Sommer 1946: Tausenden gestrandeten jüdischen Flüchtlingen wird in Auffanglagern nördlich und südlich des Brenners offiziell die Ausreise nach Palästina verweigert – bis die Situation eskaliert.

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Sommer 1946: Tausenden gestrandeten jüdischen Flüchtlingen wird in Auffanglagern nördlich und südlich des Brenners offiziell die Ausreise nach Palästina verweigert – bis die Situation eskaliert.

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Wo heute die „Europabrücke“ den Norden mit dem Süden verbindet, steckte vor 75 Jahren der „Tiroler Trichter“. Auch er war eine Art Brücke, spannte seinen Bogen sogar über die Grenzen Europas hinaus bis nach Palästina und bildete einen der wichtigsten Korridore für 50.000 jüdische Flüchtlinge und ihre Schleuser. Trotz der großen Zahl und der bis heute dauernden Folgen dieses Massenexodus‘ in den sich gründenden Staat Israel, ist diese zwischen 1945 und 1948 stattfindende „Flucht über die Alpen“, wie Hans-Joachim Löwer sein Buch zu dem Thema nennt, kaum bekannt. „Auch überdurchschnittlich interessierte Zeitgenossen haben über diese Ereignisse nichts gewusst“, sagt der frühere Stern- und National Geographic- Reporter im Gespräch mit der FURCHE und erklärt seine Intention: „Es gibt kein Museum und öffentliche Informationen sind dünn gesät – es scheint, als ob die Erinnerung daran von der Geschichte weggeblasen worden wäre.“ Mit 50 Episoden stemmt sich Löwer gegen diese Geschichtsvergessenheit, die nicht zuletzt auch einem tieferen Verständnis für die Wurzeln des Nahostkonflikts entgegensteht.

Sommer 1946: Der Tiroler Trichter ist eng, regelmäßig verstopft, immer wieder versperrt. Das lässt die Situation am Einlauf- und Auslaufstutzen des Trichters in Nordtirol und Italien eskalieren: Den Einwohnern von Gnadenwald, einem Dorf mit zwei „Judenlagern“ unweit von Innsbruck, reicht es. Ein Brandbrief wird an den Tiroler Landtag geschickt: „Sie herrschen hier wie im Feindesland“, beklagen sich die Gnadenwalder über die Flüchtlinge. Bei anderem Verhalten dieser Leute, „deren Schicksal in den letzten Jahren gewiss sehr schwer war“, hätte man in bester Nachbarschaft mit ihnen gelebt, betonen sie, aber so kennen sie kein Pardon.

„Überflüssige Mäuler“

Das Obst werde von den Bäumen gestohlen, Weidezäune würden umgerissen, unsittliches Verhalten der jungen Burschen und Mädchen vor den Augen der Dorfkinder sei gang und gäbe und statt der Latrine im Lager benützten sie für ihre Notdurft die Wiesen – „und stellt man sie zur Rede, so drohen sie mit den Franzosen“. Der französischen Besatzungsmacht in Tirol ist die angespannte Lage bewusst. Gänzlich zu kippen droht die Stimmung, als bekannt wird, dass die Außenminister der vier Siegermächte eine Rückkehr Südtirols zu Österreich ablehnen. Plakate mit radikalen Parolen wie „Auf zum Brenner!“ oder „Gebt uns Waffen!“ werden bei einer Protestkundgebung am Bergisel geschwungen. Französische Panzer fahren auf, eine Ausgangssperre wird verhängt.

„Der Zorn in der Seele mischt sich mit dem Hunger im Leib“, schreibt Löwer. Als jüdische Lagerinsassen als Vieh- und Brennholzdiebe überführt werden und weitere Raub-Delikte der Flüchtlinge die Runde machen, warnt der Landecker Bürgermeister, man dürfe sich nicht wundern, wenn die Bauern zur Selbsthilfe gegen diese „überflüssigen Mäuler“ greifen und dafür sicher „da und dort noch ein Schießprügel vorhanden ist“.

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