Himmel über dem Camino – Der Jakobsweg ist Leben! (Camino Skies) - Viele Hiobs flüchten sich im Film „Himmel über dem Camino“ auf den Jakobsweg und erhoffen sich, auf der elendslangen Strecke aus ihren biografischen Elenden voller Trauer frei zu gehen.

Jakobsweg-Pilger: Ich bin dann mal ganz da

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Ein Kamerateam begleitete sechs Pilger(innen) aus Neuseeland auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela – und schuf mit dem Film „Himmel über dem Camino“ eine Hommage an die befreiende Kraft heiligen Wanderns.

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Ein Kamerateam begleitete sechs Pilger(innen) aus Neuseeland auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela – und schuf mit dem Film „Himmel über dem Camino“ eine Hommage an die befreiende Kraft heiligen Wanderns.

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In seinen kurios-satirischen Essays „Wenn einer eine Reise tut“ verwehrt sich Kurt Tucholsky gegen die Angewohnheit, die gerade bereisten, durchwanderten, bestiegenen Gegenden mit Deutungen, Sinnstiftungen und Beschreibungen jeglicher Art aufzuladen: „Die Erde hält gutwillig still, wenn die Reisenden über sie dahinklettern, und es ist ihr gleichgültig, wie man sie anschaut. Schilderungen sind nur für den Schilderer charakteristisch.“

Wäre der deutsche Schriftsteller in der Pressevorführung des Dokumentarfilms „Himmel über dem Camino – Der Jakobsweg ist Leben!“ gesessen, er hätte sicher mehrmals seinen Sitznachbarn am Ärmel gezupft und geflüstert: Genau das habe ich damit gemeint. Denn der „Himmel über dem Camino“ basiert auf der Idee und schreibt diese fort, dass die Wegstrecke zwischen Pyrenäen und Atlantikküste eine spirituelle Kraftlinie ist, auf der die darauf wandernden, schwitzenden, betenden, fluchenden Menschen irgendwie verändert, verinnerlicht, vergeistigt werden.

In einem Interview mit der „Zeit“ wurde der berühmteste Jakobsweg-Geher der Neuzeit nach seiner „Ich bin dann mal weg“-Wallfahrt gefragt: „Der Weg nach Santiago gilt als Erleuchtungsweg. Sind Sie jetzt erleuchtet?“ Hape Kerkelings Antwort, die Tucholsky gefallen hätte, lautete: „Wie, finden Sie, sehe ich aus? Nein, erhellt bin ich vielleicht. Die eigentliche Essenz, die ich aus dem Weg gezogen habe, ist sehr banal, aber dafür bin ich sehr weit gelaufen: dass man in jeder Sekunde seines Lebens komplett neu von vorne anfangen kann.“

Von vorne anfangen wollen fünf der sechs Protagonisten im Camino-Dokumentarfilm. Claude ist die Einzige von ihnen, die nicht mehr auf der Suche nach Antworten ist, sondern diese für sich bereits gefunden hat und ihre Lösungen bereitwillig und meist ungefragt als Redeschwall an ihre von Schicksalsschlägen gebeutelten Mitpilgerinnen und -pilger weitergibt.

Flucht aus Lebenshöllen

Was im echten Pilger-Miteinander schwer zu ertragen ist, bildet im Film eine perfekte Kontrastfolie zwischen den Charakteren. Claude, die Camino-Streberin, die mit ihren seichten Ratschlägen bei den in tiefen Tragödiengruben steckenden Zufallsbekanntschaften ins Leere schauende Blicke auslöst. Claude im religiös-allwissenden Drüberfahr-Modus, vor dem auch Pater Siegfried Stattmann, der Spiritus Rector des Benedikt- Wegs, im FURCHE-Interview warnt und die Offenheit des Pilgerns einmahnt, und den bereits der Verfasser des Buches Hiob im Auge gehabt haben muss, als er dessen drei Freunde angesichts der Hiob widerfahrenen Katastrophen zunächst einmal sieben Tage und Nächte lang nichts zum Leidgeprüften sagen lässt.

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