Militär

Schlupfwinkel und Saboteure

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Seit dem Militärputsch im Jänner 2022 steht Burkina Fasos Präsident Kaboré unter Hausarrest. Derweil wächst die Bedrohung durch islamistische Terroristen ungehindert weiter.

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Seit dem Militärputsch im Jänner 2022 steht Burkina Fasos Präsident Kaboré unter Hausarrest. Derweil wächst die Bedrohung durch islamistische Terroristen ungehindert weiter.

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Noch vor zehn Jahren wurde der ehemaligen französischen Kolonie Burkina Faso (1960 erhielt sie ihre Unabhängigkeit) auf internationaler Bühne eine gewisse politische Stabilität bescheinigt. Insbesondere im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten Mali oder Niger. Trotz der kulturellen Vielfalt gelang den unterschiedlichen Ethnien im „Land des aufrichtigen Menschen“ ein friedliches Zusammenleben über Jahrzehnte erstaunlich gut. Dieses Lagebild hat sich verändert: Ende Jänner 2022 putschte sich das Militär unter Führung von Paul-Henri Sandaogo Damiba an die Macht und zwang den Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré, eine Rücktrittserklärung zu unterschreiben. Seither steht er in seinem Wohnhaus in der Hauptstadt Ouagadougou unter Arrest.

Zusammenarbeit auf Beamtenebene

Die Bevölkerung nimmt den Umbruch gelassen, viele begrüßen ihn regelrecht. Den Ausdruck „Coup d‘Etat“ (die Amtssprache ist Französisch) wollen viele Burkinabè erst gar nicht in den Mund nehmen. Lieber sprechen sie von „Changement de gouvernement“. Freilich ist es offenkundig, dass diesem „Wechsel“ kein demokratischer Prozess vorausgegangen ist, wie es die Verfassung des Präsidialsystems eigentlich vorsieht. Das wiederum führt dazu, dass die neuen Machthaber nicht als offizielle Vertreter von Burkina Faso anerkannt werden. Die internationale Zusammenarbeit funktioniert daher nur noch auf Beamten- und nicht mehr auf Regierungsebene, wie eine Vertreterin der „GIZ“ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) gegenüber der FURCHE erklärt.

Ein Problem, mit dem auch Hilfsorganisationen wie „Licht für die Welt“ in dem 20,1 Millionen Einwohner(innen) zählenden Land konfrontiert sind. Und auch die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS ist sich uneinig, wie mit den Putschisten umzugehen ist. Dass die Bevölkerung mehr Vertrauen in das Militär setzt als in ihren ehemaligen Präsidenten, hat einen nachvollziehbaren Grund: 2015 (also kurz nach Kaborés Angelobung) hielt der Terror in Burkina Faso Einzug. Nicht wenige machen Kaborés indirekt dafür verantwortlich.

Wofür sie sind, wissen wir nicht. Aber wir wissen, wogegen sie sind: moderne Bildung und alles, was ihrer Meinung nach unrichtiges Leben ist.

Charles Kiba, Generalsekretär der Diözese Manga

Philippe Compaoré, Projektleiter des Länderbüros von „Licht für die Welt“, erwähnt in diesem Zusammenhang Kaborés Vorgänger – den umstrittenen und von 1987 bis 2014 amtierenden Ex-Präsidenten Blaise Compaoré. (Anmerkung: LFDW-Mitarbeiter Philippe Compaoré ist mit Blaise Compaoré weder verwandt noch verschwägert). Laut Philippe Compaoré sei es ein offenes Geheimnis gewesen, dass der Ex-Präsident Rebellen aus dem Ausland finanziell unterstützte und beherbergte.

Ein prominentes Beispiel für diese Praxis ist der ehemalige liberianische Präsident Charles Taylor, der 2012 in Den Haag ob seiner Kriegsverbrechen verurteilt wurde. Taylor galt als enger Freund von Blaise Compaoré und hatte seine terroristischen Angriffe von Burkina Faso aus geplant, nachdem er dort Asyl erhalten hatte. Der einstige liberianische Machthaber war nicht der einzige Schurke, dem Blaise Compaoré Unterschlupf gewährt hatte. Philippe Compaoré geht davon aus, dass es zwischen potenziellen Terroristen und der Compaoré-Regierung Absprachen gegeben haben dürfte. Die Zusage, Burkina Faso nicht anzugreifen, ließen sie sich mit sicherem Unterschlupf und anderen Unterstützungsmaßnahmen bezahlen.

Durch die Wahl von Roch Marc Christian Kaboré 2014 platzte dieser Deal schließlich. Für die Terroristen gab es folglich keinen Grund mehr, Burkina Faso zu verschonen. „Die Leute waren enttäuscht, dass sie der neu gewählte Präsident Kaboré bzw. seine Regierung nicht vor den Terroristen beschützen konnten. Einige argumentieren, dass man es nicht einmal versucht hat. Jedenfalls die Anbahnung eines Dialoges wäre wünschenswert gewesen“, sagt Charles Kinda, Generalsekretär der Diözese Manga.

Der Euphorie wich Ernüchterung

Weil die Bedrohung immer größer wurde, spekulierten viele auf die Durchsetzungskraft einer Militärregierung. Und sei es nur durch deren Präsenz in der Krisenregion. Jedoch ist bei den Befürwortern mittlerweile Ernüchterung eingekehrt. Seit dem Putsch wurden rund zwei Terroranschläge pro Woche gezählt. Betroffen sind vor allem der Sahel im Norden und das Grenzgebiet zu Mali im Westen. Auch in den östlichen und südöstlichen Provinzen halten die Terroristen Einzug. Die Willkürherrschaft der Saboteure führte zu einer enormen Fluchtbewegung innerhalb des Landes. Laut offizieller Statistik wurden bereits 1,8 Mio. Binnenflüchtlinge verzeichnet. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen.

Die Gretchenfrage vieler Burkinabès lautet indes: Was wollen die Terroristen von uns? In der Tat ist eine Antwort darauf schwer zu finden.

Die Gretchenfrage vieler Burkinabès lautet indes: Was wollen die Terroristen von uns? In der Tat ist eine Antwort darauf schwer zu finden. Die Menge an Bodenschätzen im Land ist überschaubar. Ein Hinweis könnte sein, dass aktive Islamistengruppen aus Mali, dem Niger oder dem Tschad über die Grenzen hinweg die Region destabilisieren wollen.

„Mit Religion oder gar dem Islam hat das nichts zu tun, auch wenn das vorgegeben wird“, sagt Aristokrat Naba Kiba II., dessen Großvater das Christentum in der Provinz Zoundwéogo etabliert hat. Naba Kiba II. ist stolz auf Burkina Fasos Ruf, ein Musterland religiöser Vielfalt zu sein. Und in der Tat leben Muslime, Christen und Anhänger von Naturreligionen größtenteils friedlich nebeneinander – die Krisenherde an den Grenzen ausgenommen.

Zum Teil sind Familien in religiöser Hinsicht bunt durchmischt. Die Muslime im Land, etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung, praktizieren eine pragmatische Form des Islam. Polygamie ist dagegen innerhalb aller Glaubensrichtungen als Lebensform etabliert. Dass ein Mann drei Frauen hat, ist eher die Regel als die Ausnahme. Oftmals wird argumentiert, dass in Burkina Faso nur auf diese Art die Versorgung einer Frau im Alter gesichert ist.

Welche Motive gilt es – abseits von vermeintlich religiösen – bei den Terroristen zu identifizieren? „Wofür sie sind, wissen wir nicht. Aber wir wissen, wogegen sie sind: Sie sind gegen moderne Bildung, gegen alles, was ihrer Meinung nach unrichtiges Leben ist“, sagt Generalsekretär Charles Kinda. Aristokrat Naba Kiba II. sieht hier eine enge Verknüpfung mit Armut und Exklusion. Terroristen fänden vor allem in infrastrukturschwachen Gebieten ihre Anhänger, viele Gruppierungen fühlten sich dort abgehängt, ignoriert von den Mächtigen in Quagadougo. „Priorität Afrikas wird weiter sinken“

Das Land blieb von Corona weitgehend verschont

Kinda, Kiba und Philippe Compaoré gehen davon aus, dass die aktuelle Weltlage die Situation in Burkina Faso weiter verschlechtern wird. Wegen des Ukraine-Krieges sowie der Aufrüstung in Europa dürften die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit drastisch reduziert werden. „Die Priorität Afrikas wird weiter sinken“, sagt Kinda. Durch den Klimawandel, so Philippe Compaoré, werden vor allem in der von Trockenheit geprägten Sahelzone die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen knapper – das könnte die Konflikte zwischen Nomaden und sesshaften Bauern verschärfen, was wiederum Wasser auf den Mühlen des Terrorismus sei. Allerdings wird im Land längst an Saatgut geforscht, dass auch fähig ist, bei extremer Hitze zu keimen. Zudem ist man froh, dass die Burkinabè von der Coronakrise weitgehend verschont geblieben sind. Auch wenn offizielle Statistiken kaum existieren – Berichte von ernsthaften Verläufen gibt es so gut wie nicht.

„De toute façon, la vie continue. – Egal, was passiert, wir werden weitermachen“, mit diesem Satz verabschiedet sich Naba Kiba II. von seinen Gästen aus Österreich. Er lebt schließlich im Land des aufrichtigen Menschen, in Burkina Faso.

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