6763811-1968_26_04.jpg
Digital In Arbeit

AUA RACHMANOWA I WANDERN DURCH FEUER

Werbung
Werbung
Werbung

Dieses Bild! Vor mir liegt ein Dutzend anderer, jüngerer und älterer: dieses Bild aber der nunmehr am 27. Juni siebzigjährigen Alja Rachmanowu = v. Hoyer, der rassige Pagenkopf, die Augen voll Leid und Liebe, ein Ab- und Sinnbild der Zeit, wird eingehen in die Literatur- und Kulturgeschichte unserer Tage.

Geboren im Kaukasus, österreichische Staatsbürgerin als Gattin des Salzburger Latinologen Prof. Dr. Arnulf v. Hoyer (der als Übersetzer ihrer russischen Urmanuskripte an ihrem literarischen Werk hervorragenden Anteil hat), seßhaft zuletzt in der Schweiz (Ettenhausen bei Aadorf, Kanton Thurgau), gibt es einen sinnfälligeren Ausdruck für die Unrast dieses Lebens?

Es ist oft erzählt worden: die abenteuerliche Flucht der Psychologieassistentin mit dem österreichischen Kriegsgefangenen v. Hoyer aus dem brodelnden Hexenkessel der bolschewistischen Revolution, ein karges Leben im kargen Wien der ersten Weltkriegs-Nachzeit als „Milchfrau in Ottakring“, steiler literarischer Aufstieg in Wien und Salzburg — und wieder zwischen den Feuern der Weltgeschichte: des Buchverbreitungsverbotes seitens des Nationalsozialismus und der russischen Besatzungsmacht (!), in den allerletzten Tagen des zweiten Weltkrieges des einzigen Sohnes Jurka beraubt — und schließlich Ruhe auf einem Schweizer Landsitz, in die nur ein schweres Gallenleiden des sieben Jahre älteren treuen Gatten (eine Idealehe, 47 Jahre lang in allen Feuern erprobt) Schatten wirft.

Und auf dieser ruhelosen Wanderung — vielleicht auch genährt durch sie! — entsteht ein staunenswertes literarisches Werk von 18 Büchern (zwei weitere sind im Werden), die in 21 Sprachen und eineinhalb Millionen Bänden in die Welt hinausgegangen sind.

Den ersten Ruhm begründen die Tagebuchwerke 1931—1935: „Studenten, Liebe, Tscheka und Tod“, „Milchfrau in Ottakring“, „Geheimnisse um Tataren und Götzen“ und „Fabrik des neuen Menschen", denen wohl auch die drei Jurka-Bücher „Jurka, Tagebuch einer Mutter“, „Einer von vielen“ und „Jurka erlebt Wien“ zuzuzählen sind.

Dann aber beginnt die große Reihe der biographischen Quellen- und Dokumentarromane, die zusammen ein unschätzbares Kompendium der russischen Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts ergeben: „Tragödie einer Ehe“ (Leo Tolstojs), era Fedorowna“, „Das Leben eines großen Sünders“ (Dostojewski, 2 Bände),

„Sonja Kowalewski“, „Die Liebe eines Lebens“ (Turgenjew—Pauline Viardot), „Die falsche Zarin“ (Prinzessin Elisabeth), „Im Schatten des Zarenhofes“ (Puschkin), „Ein kurzer Tag“ (Tschechow) und „Die Verbannten“ (Dekabris- len). Aus der Reihe tritt „Tiere begleiten mein Leben“, im Entstehen sind „Fatum“ (Tschaikowsky) und ein „Schweizer Tagebuch“.

Was für ein Werk, welch ein Mensch!

In einem Brief an den Autor dieser Zeilen schreibt Alja Rach- manowa: „Übrigens war ich vor kurzem ganz erstaunt, als die Schüler von Aadorf über mich einen Vortrag hielten und mich vorher fragten, was mir geholfen habe in meinem hohen Alter so voll Energie, immer freundlich, hilfsbereit und geistig so schaffensfreudig zu sein — ja, ich war sprachlos und verwundert darüber, daß ich nun das .hohe Alter' erreicht hatte! Ich hatte es einfach nicht bemerkt!“

Dieses Bild, dieses Bild…! Ist es vielleicht gar — zu alt?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung