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Mensch an der Seite des Riesen

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Der Buchklub Ex libris, Zürich, legte kürzlich Alexandra Rachmanowas Roman der Ehe Leo Tolstojs, „T r a g ö d i e einer Liebe“ (523 Seiten), auf. Es bleibt ein außerordentliches Verdienst der heute wohl unbestritten besten Keiinerin und poetischen Deuterin der russischen Seele, dem Leser in, diesem großartigen psychologischen Aufriß einen klaren Weg durch die widerspruchsvollen Selbstzeugnisse Tolstojs und die nicht minder unklaren biographischen Bruchstücke von Freunden und Forschern gebahnt zu haben. Die unheilvolle Rolle, die besonders im letzten Akt des Dramas Freunde und eigene Familienangehörige des Grafen bei der Zerstörung der 48jährigen Ehe Leo Tolstojs gespielt haben, wird mit schonungsloser Offenheit aufgerollt. Vielleicht konnte nur eine Frau das wahre Martyrium der Gräfin Sonja zutiefst erfassen: von den tränenreichen Flitterwochen an der Seite des harten, rücksichtslosen Mannes, über die qualvollen Schaffensjahre des unberechenbaren, sprunghaften sozialen und religiösen Grüblers und Bohrers bis zu den letzten Tagen, da sie nach einem halben Jahrhundert entsagungsvoller Treue zjj dem Lebenden von dem Sterbenden ferngehalten wurde. Sie hat ihm mehr als 16 Kinder geboren: sie ist in Dutzende Gestalten und Konflikte des Riesenwerkes Leo Tolstojs eingegangen. Daß sie ihm nicht in alle Labyrinthe und Abgründe seines Denkens folgen konnte, daß sie sich, die Gutsherrin, Gattin und Mutter nicht in Sack und Asche seinem romantischen Kommunismus, seiner ständigen Flucht vor sich selber anschloß — wer will ihr das verargen? Viel Kluges. Erhellendes und Mitfühlens wird in dem Roman über den geistigen Steppenriesen dieses seltsamen, unheilkündenden 1. Jahrhunderts gesagt. Seiner Frau aber reicht Alja Rachmanowa einen herben, späten Kranz der Liebe und des Verstehcns. Wir neigen uns in Achtung vor dem vornehmen Akt der Pietät und der historischen Wahrheit, den Alja Rachmanowa und ihr mitschöpferischer Gatte-Uebersetzer Dr. Arnulf von Hoyer mit diesem Werk gesetzt haben.

Nicht reine Freude bereitet Giovannino G u a-r e s c h i s neue Sammlung von Erzählungen ..Bleib in deinem D-Zug“ (Otto-Müller-Verlag, Salzbürg, 259 Seiten). Das Vorwort des Herausgebers ist mit viel Liebe und Nachsicht zum Autor bemüht, die Schatten, die auf Werk und Leben des Verfassers fallen, entgegen den Akten aufzuhellen. Da der Herausgeber nicht mehr unter den Lebenden weilt, sei damit nicht weiter gerechtet. Halten wir uns an Guareschi. Den feinen, klugen, schmunzelnden Details aus seinem verklärten Familienleben mit Frau und Kindern, die in einigen wenigen Geschichtchen ungetrübten Genuß bereiten, stehen leider zahllose Banalitäten, Altklugheiten und — statt Tiefsinn — Rabulistik gegenüber. Man fühlt sich bisweilen zum besten gehalten. Dieses gilt vor allem für die zwielichtige „Moral der Geschieht“ der letzten Erzählung, die dem Band den Titel gegeben hat.

Reifer, voller und beglückender rauscht der Strom der Gedanken und des schönsten dichterischen Ausdrucks in der deutschen Prosa-Anthologie „L i c h-ter gleiten durch den Schatten“ (Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg, 267 Seiten). Die lange Reihe erster Autoren beschließt eine aufschlußreiche autobiographische Skizze Ernst Penzoldts. Von den neuen Publikationen des Paul-Zsolnay-Verlages, Wien, ist Constantine Fritz Gibbons „Flucht in die Ferien“ ein großer Wurf, der an Kleistsche Strenge und düstere Ballung erinnert. „Verfolgt aus Liebe“ von Robin Maugham, ein Nachkriegserlebnis, beginnt originell und diszipliniert, versandet aber in quälender Pathologie. Zart, scheu, von großer dichterischer Schönheit Rumer Goddens „Der S.tfom“. Colettes „Cheris Ende“ ist nicht das erfreulichste Werk der verstorbenen Schriftstellerin. Es endet mit dem Selbstmord eines zweifelhaften Helden, der sich schon in früheren Werken der Colette nicht eben durch saubere Männlichkeit ausgezeichnet hat. Die Erde sei ihm leicht.

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