Sein zweites Buch liefert quasi das nach, was nach dem ersten "Warum unsere Kinder Tyrannen werden" von Kritikern vermisst wurde: Lösungsansätze und wie er selbst sagt: Auswege aus der drohenden Katastrophe für die gesamte Gesellschaft. Diese fürchtet Michael Winterhoff, wenn das von ihm gegeißelte Konzept der 68er weiterhin Blüten triebe: das Konzept vom Kind als Partner, also Erziehung durch Erklären, Diskutieren und Verstehen. Dazu gesellen sich noch andere Beziehungsstörungen: Das Konzept "Ich will vom Kind geliebt werden" sowie "Das Kind ist Teil von mir" (quasi wie ein eigener Körperteil). Die letzten zwei Störungen mag es geben, sind aber nicht immer nachvollziehbar.
Sein Lösungsansatz: "Wenn Eltern wieder in die Intuition zurückkommen, wenn für Kinder verantwortliche Erwachsene im öffentlichen Bereich wieder nach dem Konzept, Kind als Kind' vorgehen, haben wieder viel mehr Kinder die Möglichkeit einer gesunden psychischen Reifeentwicklung, als es heute der Fall ist."
Der Paradigmenwechsel in der Pädagogik, den er fordert, ist nicht überzeugend durchargumentiert. Bindungstheorie und die frühkindliche Entwicklungspsychologie werden nicht ausreichend einbezogen: Zum Beispiel wird bei seinen Fallgeschichten nicht erwähnt, wie die ersten Lebensmonate eines Kindes verliefen und die Beziehungen innerhalb der Familie gestaltet sind. Eine Variante scheint er nicht zu sehen: Man kann ein Kind auch als Kind sehen, das also Schutz und Orientierung braucht; aber dennoch partnerschaftlich die Kompetenz für seine Bedürfnisse respektieren.
Dass Erziehung heute schwierig scheint, bezweifelt niemand. Fraglich ist, ob sie je leichter war. Winterhoff setzt zwar immer hinzu, dass die Abgrenzung vom Kind und die Strukturen in jedem Fall liebevoll und ohne Gewalt gesetzt sein müssten, dennoch "riecht" sein Konzept zu sehr nach früheren Erziehungsstilen, geprägt von Machtstrukturen, Autorität und Disziplin. Den vermeintlichen Erfolg dieses Konzepts kennen wir doch bereits: Nicht selten lernten die Heranwachsenden durch die Bevormundung und das Disziplinieren ihrer Bedürfnisse etwas Wesentliches nicht kennen: sich selber.
Tyrannen müssen nicht sein
Warum Erziehung allein nicht reicht - Auswege Gütersloher Verlag 2009, 192 Seiten, geb., e 18,50
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!