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Ab wann wird ein Kind?
In diesem Land, in dem selbst die Krümmung der Salatgurken und die Rundform der Erdäpfel aufgrund einschlägiger Gesetze haargenau im Verordnungsweg definiert werden, windet man sich um eine halbwegs präzise Formulierung über den Beginn schutzwürdigen menschlichen • Lebens.
Wenn am 13. Oktober die parla-. mentarischen Ausschußberatungen über die Regierungsvorlage für ein neues Jugendwohlfahrtsgesetz (FURCHE 26/1S87) beginnen, werden die Abgeordneten zuerst sich und dann der Öffentlichkeit die Frage zu beantworten haben: Ab wann wird ein Kind? Denn der klare Auftrag zur Sicherung der „Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an“, wie ihn das geltende Jugendwohlfahrtsgesetz noch gibt, soll zugunsten der Wischiwaschiformulierung vom „werdenden Kind“ liquidiert werden.
Die Absicht ist klar: Die Grundsatzbestimmung eines Sozialgesetzes, und darum geht es bei der Jugendwohlfahrt in wesentlichen Bereichen, soll einer Ausnahmebestimmung des Strafgesetzes, und mehr ist die Fristenregelung nicht, angepaßt werden. Genauigkeit bei Gurken, Verwaschenheit beim Leben?
Die Abgeordneten müßten nur einmal in den Protokollen des Nationalrates zurückblättern, nur um ein einziges Jahr. Dort fänden sie im vom damaligen Wissenschaftsminister Heinz Fischer vorgelegten Gutachten der Rektorenkonferenz zum Themenkreis künstliche Befruchtung die schlichte Tatsachenfeststeli lung, daß der Embryo „ab der Verbindung von Ei- und Samenzellen .Anspruch auf Schutz der Gesetze' (hat)“.
Und bei weiterer Lektüre des Gutachtens - vorausgesetzt, Parlamentarier lesen überhaupt, was sie offiziell zur Kenntnis genommen haben - müßten sie dann die Gänsehaut bekommen. Sollen denn Forschungsexperimente an künstlich befruchteten Embryonen erlaubt sein, wenn ihr Entwicklungsstand noch nicht den des 14. Tages nach normaler Befruchtung erreicht hat?
Und jetzt die Gewissensfrage an die Volksvertreter: Sind denn das noch nicht — oder doch schon — „werdende Kinder“? Vielleicht begreifen langsam auch jene, die einfältig diese faule Kompromißformel als genial preisen, daß der Gesetzgeber um eine klare Begriffsbildung da nicht herumkommt. Vor dem präjudiziellen Aspekt kann nur die Augen verschließen, wer das Anliegen des Lebensschutzes lediglich noch verschwommen sieht.
Wo sind denn die Abgeordneten, die auf ihr Gewissen pochen, wenn es um mehr als um eine lächerliche Draken-Abstimmung geht? Wo die Länder, die Mitwirkung bei der Rahmengesetzgebung fordern, weil sie die Ausführung zu besorgen haben?
Wenig „C“ wie Courage. Dafür „hohes C“ in Sonntagsreden.
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