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Das Ende der Qualität
Kaum hatten die Schriftsteller das „Ende der Bescheidenheit“ proklamiert, als ihnen schon vorgerechnet wurde, wie gar nicht so wenig sie doch verdienten. Beweis: Es ist noch keiner verhungert.
Und in der Tat: Verhungert ist wirklich noch keiner. Aber am Leben geblieben sind sie, von den ganz wenigen Erfolgsautoren abgesehen, einzig dadurch, daß sie, statt zu dichten, den Lebensunterhalt in einem bürgerlichen Beruf sich verdienen; oder aber dadurch, daß sie ihr Talent in semi-literariscben Tätigkeiten exploitieren, im Verfassen von Sachbüchern wie von Buchbesprechungen bis zum Lektorieren und Redigieren fremder Texte. Gottfried Beinn war Arzt, Paul Celan hat Kriminalromane übersetzt ... Nicht der Beiruf, sondern das Nebengetschäft bringt das Geld — und verzerrt die Statistik: der Erlös aus künstlerischliterarischer Tätigkeit deckt normalerweise nicht einmal die Spesen.
Nun hat ihm's ja niemand geschafft, ungefragte Kunstwerke hervorzubringen, anstatt marktorientiert zu produzieren — so argumentiert der zwischen Streitrecht und Pensionsberechtigung etablierte Biedersinn weiter; und wirft sich in dlie von Kollektivvertrag und Handelsspanne geschwellte Brust mit der Rüge, das Jammern ums Geld sei unwürdig eines Dichters, der damit sein Werk geradezu diskreditiere: er stelle sich damit auf eine Stufe mit den Bahnbeamten, den Metallarbeitern, den Kohlenhändlern, den Bierbrauern.
Nun steht der Schriftsteller ja tatsächlich auf einer Stufe mit den Bankbeamten, den Metallarbeitern, den Kohlenhändlern, den Bierbrauern, und zwar nicht nur vor Gott und vor dem Gesetz, sondern auch schon beim Zim-mervermieter, am Gasthaustisch, an der Tankstelle, beim Friseur, im Warenhaus. Wedl er im Kürschner steht, kriegt er sein Kilogramm Zucker, seine Zeitung, seinen Wintermantel, seine Zahnprothese um keinen Groschen billiger als einer, der seine Produkte oder seine Arbeitskraft mit Profit verkauft. Aber während ringsum mit den Gehältern und Löhnen auch die Preise ständig steigen, sind die Autorenhonorare längst eingefroren. Das heißt: in dem Maß, in dem der allgemeine Wohlstand wächst, muß Jer Schriftsteller seine Arbeitszeit an lukrative Tätigkeiten wenden; mit der weiteren Folge, daß er künstlerisch zwar sein Niveau hält, aber immer weniger, nur noch Kleines und Kleinstes, hervorbringt, oder aber, aus Mangel an physischer Kraft und geistiger Muße, den qualitativen Anspruch an sich selber schrittweise zurücksteckt.
Die soziale Gerechtigkeit muß dem Künstler, was seine Person betrifft, völlig egal sein. Alarm schlagen darf, ja muß er dann aber, wenn in der Diskrepanz zwischen Leistung und Honorierung die Qualität sich auflöst. Und eben deshalb darf einem Volke nicht gleichgültig sein, wie gut oder schlecht seine Schrift-stellar honoriert werden. Denn mit der Qualität seiner Literatur steht und fällt das Gedächtnis und das Gewissen eines Volkes, das Bewußtsein seiner selbst.
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