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Richtmaß zwischen den Schulen

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Zwei Hauptprobleme kennzeichnen das vor 1891 besonders innerkatholisch strittige und zugleich doch so lebenswichtige Lehrgut, das der Rerum novarum zur Beurteilung vorlag:

öffentliche oder private Regelung der sozialen Spannung? So lautete die erste Frage. Mit Entschiedenheit behauptete die „konservative“ Vogelsang - Schule, auch die Gruppe der Catholiques Sociaux, den Beruf des Staates, die wirtschaftlichen Verhältnisse mitzubestimmen. Anderer Meinung waren nord- und westdeutsche,sogenannte „muß“-preußische, dann namhafte französische und belgische „Liberal“-Katholiken. Sie leugneten den sozialen Beruf des Staates und erhoben den Vorwurf: .Vogelsang sei Staatssozialist! Freilich schrieben sie zumeist aus taktischen Erwägungen heraus. Sie wollten dem „kulturkämpferischen“ Staat mit der „Sozialen Frage“ kein neues ^Machtgebiet eröffnen.

Die zweite Frage war: Lohnoder Gesellschaftsvertrag? Die Vogelsang-Schule bezeichnete als das rnaturrechtliche“ Prinzip, womit das proletarisch-kapitalistische Arbeitsverhältnis zu überwinden wäre, nicht einen noch so aufgebesserten „Lohnvertrag“, sondern den „Gesellschaftsvertrag“. Deshalb forderte P. Weiß: „Gewinnbeteiligung“ und Vogelsang: „Industriekorporation“! Nicht zwei Klassen sollen sich gegenüberstehen, davon die eine Arbeit „gibt“ und die andere „nimmt“, sondern zwei gleichberechtigte „Gesellschafter“! Dagegen opponierten vordringlich die französischen „Liberal“-Katholiken. Sie lehnten Vogelsangs Programm als reformistischen Umbruch der gegebenen Ordnung ab und verfochten nur Sozialpolitik, verbesserten Lohnvertrag, in dieser.

Wie antwortete Rerum novarum? Gleich nach ihrem Erlaß versuchten Glossatoren textkritisch eine. Verurteilung der „katholisch-liberalen“ und eine Beglaubigung der „katholisch-konservativen“ Partei abzulesen oder )imgekehrt. Das ist gewiß einäugig interpretiert. Vorab gilt, was Franz Graf Kuefstein, der Kenner, schrieb: „Die Arbeiterenzyklika bringt (programmatisch) nichts Neues.“ Sie ist vordringlich eine Ermunterung für alle Katholiken, in ihren sozialen Werken fortzufahren. Erst dann war sie eine „Entscheidung“, doch eine solche nur in sozialtheologischen Fragen, die vom Übereifer führender Katholiken da und dort vereinseitigt wurden. Folglich war Rerum novarum keine Entscheidung für eine „Richtung“, sondern eine Beschneidung aller Richtungen auf das „Unum necessarium“ ihrer Anliegen.

Daher wies Leo XIII. die nicht-interventionistischen Bestrebungen französischer und deutscher Katholiken fraglos

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