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KARL LUGMAYER / PHILOSOPH DES PERSONALISMUS

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Versucht man, Karl Lugmayer in eine bestimmte Kategorie einzuordnen, so beginnen die Schwierigkeiten. Vom „erlernten Beruf“ her klassischer Philologe, ist er ein bedeutender und verdienstvoller Schulmann. Aber er ist noch vieles andere dazu. Zum Beispiel Politiker: Als solcher kommt er ins Parlar ment und in die Regierung (Zweite Republik, Regierung Renner). Oder Volksbildner: 1923 Volksbildungsreferent für Niederösterreich, später Leiter des Wiener Volksbildungswesens; als einer der Initiatoren des bäuerlichen Volksbildungswesens auch der Gründer des bäuerlichen Volksbildungsheims Hubertendorf. Er gründet

und leitet verschiedene Zeitschriften, schreibt zahllose Artikel in den verschiedensten Organen, veröffentlicht mehrere Dutzend Bücher und Broschüren, darunter umfangreiche wissenschaftliche Werke. Er bekleidet die verschiedensten Funktionen, sei es als Obmann einer Bau- und Siedlungsgenossenschaft, sei es als ständiger österreichischer Delegierter im Straßburger Europaparlament. Er ist ein durchaus eigenständiger Sozialphilosoph, aber /auch ein Sozialpraktiker; Hochschulprofessor, aber auch Gewerkschafter und Programmatiker der politischen christlichen Arbeiterbewegung Österreichs.

Kritisch gegenüber jedermann, ist er es am kompromißlosesten gegenüber sich selbst. Dabei ist er frei von Skrupulosität und Negativismus und ein typisch konstruktiver Geist. Er trägt keine Maske, ist durchsichtig wie ein Kristall, gibt sich immer und jedem gegenüber so, wie er ist, und seine geradezu physische Abneigung gegen Pathetik verträgt sich harmonisch mit dem hohen Schwung seiner Gedanken und seinem österreichischen Patriotismus, auf den niemals ein Schatten gefallen ist. Unter Akademikern ob seiner Wissensfülle, seiner messerscharfen Argumentation und Spottlust ein ge-fürchteter Diskussionspartner, fühlt er sich am wohlsten im intimen Gespräch mit einfachen Arbeitsmenschen, mit denen er gerne stun-

denlang in kleinen Beiseln zusammensitzt und die sich mit ihm ausgezeichnet verstehen.

Als der am 25. Februar 1892 in Ebensee, Oberösterreich, geborene Karl Lugmayer 1911 die Wiener Universität bezog,1 war der Name Vogelsang in der christlichen Sozialbewegung, deren Ursprung und Gründung in Österreich ja eben auf Vogelsang zurückging, in Vergessenheit geraten; die herrschenden liberal-katholischen Strömungen jener Zeit hatten soziales Denken im Sinne Vogelsangs, der seiner Zeit weit voraus war, abgelehnt und verdrängt. Die Lehren Vogelsangs, auf die ihn erstmals Anton Orel aufmerksam machte, wurden für Lugmayer bestimmend:

Vom Kurat von St. Peter, Gefll, angeregt, machte sich' Lugmayer damals daran, an Stelle der alten, holprigen und trockenen Übersetzung von Leos Xlll. Arbeiterenzyklika „Rerum novarum“ eine neue zu besorgen. Diese wurde zu einem durchschlagenden Bucherfolg. Für Lugmayer bedeutete „Rerum novarum“, ein }ahr nach Vogelsangs Tod erlassen, die Bestätigung von dessen Lehren. Ihm wurde das große Glück zuteil, daß seine eigene soziale Programmatik, in der er die Kerngedanken Vogelsangs, von allem Zeitbedingten gelöst, eigenständig weiterentwickelt und vollendet, durch die soziale Enzyklika Johannes XXIII. „Mater et magistra“ gegenüber ängstlichen.

interessenversklavten oder allzu bequemen Gemütern gerechtfertigt und bestätigt wird. ,

Die wichtigste Leistung Lugmayers aber liegt auf philosophischem Gebiet. Während der von 1938 bis 1945 von den damaligen Gewalthabern über ihn verhängten Stille entfalteten sich seine immer wieder vorgetragenen Gedanken zur vollen Reife eines in sich geschlossenen Systems. In der erzwungenen Muße hatte er sich nicht nur nochmals die Werke der großen abendländischen Philosophen von Augustinus und Thomas bis zu den Modernen vorgenommen, sondern sich auch in die indische und chinesische Gedankenwelt versenkt. Vor allem mit seinen zwei Werken „Sein und Erscheinung“ und „Philosophie der Person“ legitimiert sich Karl Lugmayer als der bedeutendste Vertreter des gesellschaftlichen Personalismus, der in ähnlicher Weise wie von ihm auch von dem Franzosen Emanuel Mounier vertreten wird („Qu'est-ce que le perso-nalisme?“ und „Traite du carac-tere“). Die Werke der beiden Philosophen entstanden ungefähr zur gleichen Zeit während des Krieges, und zwar völlig unabhängig voneinander, wobei sich die Lugmayers vor denen Mouniers durch die Prägnanz und Klarheit der Gedankenführung und Sprache, durch ihre Tiefe, durch ihre Systemgerechtigkeit und ihre Konsequenz auszeichnen.

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