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Politische Weisheit

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Bemerkungen zu einer Anthologie von Theodor Pütz im Verlag fur Geschichte und Politik, Wien. 149 Seiten

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Bemerkungen zu einer Anthologie von Theodor Pütz im Verlag fur Geschichte und Politik, Wien. 149 Seiten

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Die Weisheit, daß jeder Mensch bei Erfüllung seines Daseinszweckes auf andere Menschen angewiesen ist, daß der Mensch, wo immer er lebt, in der Familie, im Stamm oder in einem größeren Verbände, Mitglied einer Gesellschaft ist und daß alle höhere Kultur ohne Staat gar nicht verwirklicht werden kann, ist so alt wie die Kulturmenschheit selbst. Es ist aber eine Erkenntnis, die der Menschheit von Zeit zu Zeit wieder verlorengegangen ist und an die auch in Oesterreich nicht oft genug erinnert werden kann. Vor dem Wiener Rathause stehen die Männer, die sich um die Geschichte Wiens verdient gemacht haben. Wo findet man — abgesehen vom Prinzen Eugen und von Maria Theresia — die Denkmäler der großen österreichischen Staatsmänner? Welches sind die großen politischen Lehrmeister Oesterreichs und des Abendlandes gewesen? Vor dem Parlmnentsgebäude befinden sich Plastiken antiker Geschichtsschreiber. Durchaus würdig! Aber — das ist doch nicht alles! Dr. Karl Lueger und Dr. Victor Adler standen den Herzen ihrer Wähler nahe — deshalb wurden ihnen Monumente gesetzt. Daß sie außerdem große staatsmännische Begabungen und große politische Lehrmeister gewesen sind, haben zu ihrer Zeit nicht alle Oester-reicher begriffen. Noch die Renaissance hatte — wie das Altertum! — ein lebendiges Gefühl dafür, daß zu den großen Künsten auch die höchste Kunst, die Kunst, einen Staat zu regieren, gehöre, und dem Athener Themistokles wurde nachgesagt, daß er eine Zither zu stimmen nicht vermöge, aber ein unbedeutendes Staatswesen zu einem großen zu machen, das verstehe er. Das klassische Altertum hat in vollem Umfange erkannt, daß der Dienst am Staate gleichbedeutend sei mit praktischer Philosophie, daß Politik in ihrem tiefsten Sinne nichts anderes sein könne, als — angewandte Ethik. Ueberaus treffend nennt ein hervorragender Wiener Staatsrechtslehrer, Hochschulprofessor D. Dr. Stanka, sein Werk über die Entwicklung politischer Ideen eine „Politische Philosophie“.

Wenn nun ein anderer bedeutender Wiener Universitätslehrer der Staats- und Wirtschaftswissenschaften seinem Vaterland und Volke im Jahre des Staatsvertrages — in etwas kleinerem Rahmen — eine Art politischen Vademecums beschert hat, muß man ihm dafür aufrichtig dankbar sein. Auf nur etwa 150 Seiten werden aus einem geographischen Räume zwischen den Britischen Inseln und Ostasien, aus einem Zeitraum vom klassischen Altertum bis zur Gegenwart Gedanken zusammengetragen, die der Herausgeber ohne Zweifel viele Jahre gesammelt und für eine volkstümliche Ausgabe sorgfältig gesichtet und ausgewählt hat. Jeder Anthologe trägt zunächst einen sehr persönlichen Charakter, und Th. Pütz schreibt auch im Vorwort: „Unsere Auswahl ist trotz allen Bemühens um Finden und Wiedergabe des Wesentlichen gewiß subjektiv und lückenhaft; mögen die Fachleute Nachsicht walten lassen!“ — fügt aber einige Zeilen weiter hinzu: „Dem Leser wird sich der Reichtum der in den Sprüchen verdichteten Weisheit nur erschließen, wenn er sie mit der heute so selten gewordenen Geduld langsamen und sich versenkenden Lesens in sich aufnimmt“. Es ist ein kleines, überaus nützliches Werk, das in seiner Gesamthaltung sympathisch anspricht und auch im einzelnen als übersichtlich, klar und reichhaltig bezeichnet werden muß. Man könnte die Aussprüche — im großen! — nach vier Richtungen gliedern: wir finden antike und christliche Realisten von Solon

und Aristoteles über Thomas von Aquin bis auf Pppst Pius XII., griechische und deutsche Idealisten von Piaton über Kant bis auf E. Jünger und K. Jaspers, Westeuropäer, von denen einige (wie Montesquieu) der Aufklärung, andere (wie Gladstone) dem Puritanertum nahestehen, und schließlich chinesische Konfutseaner. So ziehen Chinesen, Griechen, Römer, Italiener, Franzosen, Engländer, Deutsche und Oesterreicher an uns, den politischen Lehrlingen, vorbei.

Es wäre lieblos, hier alle Lücken aufzuzählen! Einiges soll jedoch nicht völlig unterdrückt werden! Warum fehlen Demosthenes und Cicero? Wenn man schon Machiavelli aueschließt, die Italiener Dante und Guicciardini wären nicht überflüssig gewesen. Es gab im 17. und 18. Jahrhundert einige große Erzieher, die auch politische Erzieher genannt werden können: Schriftsteller aus der Gesellschaft Jesu und auch noch andere „Moralisten“, Grotius, Pestalozzi und B. Franklin. Oesterreich ist nur durch Stifter und Marie von Ebner-Eschenbach vertreten. Gibt es seit Otto von Freising und von den Kaisern Friedrich und Maximilian bis auf die Gegenwart sonst wirklich nichts? Warum wird Ignaz Seipcl, von dem die Sätze stammen, „daß zwar die Politik leicht den Charakter verdirbt, daß aber ganz gewiß ein schlechter Charakter die Politik verdirbt“ — sowie: „Uns ist es vor jeder Erfahrung klar, daß auch die Politik in die moralische Ordnung hineingehören muß“ —, in dieser Sammlung „Politischer Weisheit“ völlig ignoriert?

Daß Dichter und Philosophen stärker im Vordergrunde stehen als praktisch tätige Staatsmänner, ist sicher wohlüberlegte Absicht des Herausgebers gewesen. Im übrigen gibt das Büchlein ein wirkliches Bild, ein richtiges Miniaturgemälde des gesamten Problems, besonders der Entwicklung während der letzten beiden Jahrhunderte, die doch mit weltanschaulich sehr verschwommenen, zum Teil sogar atheistischen Vorzeichen begonnen haben und sich später, auch auf dem Gebiete der Politik, dem Christentume erheblich näherten. Dieser Gedanke ist nicht nur für die Auswahl des Herausgebers charakteristisch, sondern auch für die Entwicklung selbst wesentlich. Unter den Männern der Gegenwart erscheint Papst Pius XII.; — Churchill und Roosevelt dagegen nicht. Romano Guardini wird zitiert, Bene-detto Croce und Jose Ortega y Gasset werden übergangen. Wir meinen, daß auch mit diesen Hinweisen das Wesen der Sache getroffen wurde.

Bei aller Objektivität und Weither-igkeit gegenüber verschiedenen Richtungen wird es wohl einige Gedanken geben, die dem Herzen des Herausgebers besonders nahestehen. Man gewinnt den Eindruck, daß Th. Pütz sie vor allem in einigen Aussprüchen von Piaton, von Kant und von Stifter wiedergefunden habe ...

Im übrigen ist diese Sammlung nicht chronologisch, sondern systematisch angeordnet. Jedem Abschnitt ist eine ganz ausgezeichnete knappe Einführung des Herausgebers vorangestellt. Das „Nachwort über das Verhältnis von Ethik und Politik“ kann wohl als ein Kabinettstück der Darstellung eines großen und komplizierten Problems auf kleinstem Räume angesprochen werden.

Wir möchten das Büchlein am liebsten jedem in die Hand drücken, der — aktiv oder passiv — an der politischen Entwicklung mitbeteiligt ist. Vielleicht wird bald eine zweite Auflage nötig sein, in der dann — so Gott will! — einige der angregten Ergänzungen Platz finden mögen!

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