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Gegen Konventionen

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Eingriffe in bedeutende Dramen der Vergangenheit können möglich und vertretbar, können fast schon kriminell sein. Wir haben beides in den letzten Monaten in Wien erlebt. Zwei Aufführungen im Rahmen der Wiener Festwochen bedingen eine weitere Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Zunächst brachten die Bühnen der Stadt Köln den „Urfaust“ von Goethe in der Regie eines der führenden, doch umstrittenen bundesdeutschen Spielleiter, Hansgünther Heyme.

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Eingriffe in bedeutende Dramen der Vergangenheit können möglich und vertretbar, können fast schon kriminell sein. Wir haben beides in den letzten Monaten in Wien erlebt. Zwei Aufführungen im Rahmen der Wiener Festwochen bedingen eine weitere Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Zunächst brachten die Bühnen der Stadt Köln den „Urfaust“ von Goethe in der Regie eines der führenden, doch umstrittenen bundesdeutschen Spielleiter, Hansgünther Heyme.

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Bedeutende Bühnenwerke in konventioneller Art zu spielen, bringt die Gefahr, daß der eigentliche Gehalt in der Aufführung durch die Gewohniheitseindrücke verlorengeht. Daher die Versuche, die Konvention zu durchbrechen. Während alber dm Burgtheater ein tschechischer Regisseur, wohl sehr beabsichtigt, „Faust I“ als Dichtung durch radikale Textverschnitte systematisch zerstört hat, beläßt Heyme den Text des „Urfaust“ unberührt. Esgehiiiihm merkbar darum, ihn neu zu erfühlen.

Aber da ist er in der Wahl der Mittel keineswegs glücklich. Daß er in der Erdgeist- und Domsizene je allegorische Gestalten hinzufügt, daß die Sdhwerdtlein beim Wäsehenumpeln mit vier Kindern vorgeführt wird, daß sich Mephisto am Schluß vervierfacht, geht wohl an. Aber daß die Szene .Auerbachs Keller“ in einem Boxring spielt, daß Faust die eingekerkerte Margarethe durch Heben einer Art Kanalgitter aus dem Untergrund holt, daß Faust in einer bühnenhohen Schaukel hin und her schwingt, daß er und Mephisto schließlich 'an einem Seil hoch-gezogen werden — hier gibt es bekanntlich keinen Pakt! — ist einfach sinnlos. Vollends wirkt sich die weitgehende Vermeidung von Schau-platzandeutungen — Bühnenbild: Bert Kistner — verheerend aus. Da sieht man alle technischen Einrichtungen der Bühne, metallgliitzernde und mit Berglandschaften bemalte Hänger werden heruntergelassen, werden hochgezogen, der Bühnenboden ist simultan vollgeräumt mit Versatzstücken, mit großen Koffern, Kübeln, einer Leiter, einem Bett mit weißen Vorhängen. NeueinfühLung in den ,,Urfausrt“? Dieser störende Wirrwarr verhindert es gründlich.

Schauspielerisch beeindruckt — Kostüme etwa die Zeit um 1800 — Wolfgang Robert als Faust, Gerhard Winter beschränkt sich als Mephisto auf äußere Mittel. Die Margarethe von Angelika Thomas wirkt im Verbalen glaubhaft, nicht in der Anziehung auf Faust Carmen-Renate Köper ist eine unkonventionelle Marthe.

Eine der schwierigsten Regieaufgaben bietet die Inszenierung des historischen Ritterschauspiels ,ßas Käthchchen von Heilbronn“ von Heinrich von Kleist. Die Ritterszenen, die hexenhafte Kunigunde sind kaum noch spieibar, ein sohnulzen-hafter Schluß kommt hinzu. Die Wiedergabe vor zwei Jahren im Burgtheater brachte keine Lösung. Nun sieht man dieses Schauspiel unter der Spielleitung von Claus Pey-mann, ebenfalls einer der führenden bundesdeutschen Regisseure, als Gastspiel der Württembergischen Staatstheater Stuttgart im Theater an der Wien, wo es 1811 uraufgeführt wurde.

Was Kleist zeigt, hat,' wenn man es recht bedenkt, tatsächlich etwas von einer Jahrmarktsensation. Und so laß Peymann zunächst turbulent eine Zirkusgwppe auftreten und sie nun dieses Ritterstück als Clownspiel darbieten. Graf vom Strahl und Käthchen haben rote Flecken auf den Wangen, Kunigunde ist ein Zir-tousvaimp, die anderen sind alle mehr oder weniger hypertroph als Clowns kostümiert, gehaben sich so. Ein durchsichtiges, zeltartiges Haus im Hintergrund wird in unserer Phantasie zu Schloß Thumeck. Anfangs entrollen Theobald und Graf vom Strahl jahrmarktsmäßig Bildrollen mit der Darstellung dessen, was sich begab, Käthchen steht bei der Befragung durch ihren „hohen Herrn“ — symbolisch zu deuten — auf einem gespannten Drahtseil, das im vierten Aufzug zur Brücke wird, die der Rheingraf und Graf vom Strahl auf Rädern überqueren. Kunigunde bindet den Grafen von allen Seiten der Bühne her mit Schnüren, er wird in ein Netz verstrickt.

Geht damit alles Dichterische in diesem Bühnenwerk verloren? Das ist die entscheidende Frage. Das Stück wird von den Ritterszenen, von Kunigunde her durch das Clowneske, das Zirkushafte szenisch möglich gemacht. Und man kann ja auch das Verhalten Käthohens dem Ritter vom Strahl gegenüber als darbietenswert im Sinn einer Jahrmaiktsstory auffassen. Das zugleich überaus Liebenswerte, Innige vermag sich dabei, wie die Aufführung zeigt, durchaus zu entfalten. Die tieferen Bezüge, das Geheimnishafte der beiden, läßt sich damit freilich nicht ausloten Aber es ergibt sich eine in sich geschlossene Wiedergabe, die sonst kaum erreicht wird.

Dem Jahrmarktartigen entsprechend, ist Lore Brunner als Käthchen so etwas wie eine nette Landtrut-schen und Martin Lüttge als Graf vom Strahl ein derb wirkender Landjunker. Kirsten Dene forciert, wie es sich gehört, das Vamphafte der Kunigunde. Der Bühnenbildner Achim Freyer zeigt Phantasie vor allem im Entwurf der Kostüme.

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