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Jene, die regieren, müssen planen

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Wir leben in einer Welt komplizierter Ungewißheit. Das Wissen macht unsere Unwissenheit bewußt. Zeit und Zukunft sind knapp geworden. Die Ungewißheit steigt. Das Tempo der Veränderungen beschleunigt sich, wir nehmen unsere Unwissenheit ernster denn je. Wir fragen, ob wir überhaupt noch eine Zukunft haben - und deswegen, und trotzdem planen wir. „Was ist der Mensch, daß er Pläne macht!“ fragt Hugo von Hofmannsthal im Chandos-Brief.

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Wir leben in einer Welt komplizierter Ungewißheit. Das Wissen macht unsere Unwissenheit bewußt. Zeit und Zukunft sind knapp geworden. Die Ungewißheit steigt. Das Tempo der Veränderungen beschleunigt sich, wir nehmen unsere Unwissenheit ernster denn je. Wir fragen, ob wir überhaupt noch eine Zukunft haben - und deswegen, und trotzdem planen wir. „Was ist der Mensch, daß er Pläne macht!“ fragt Hugo von Hofmannsthal im Chandos-Brief.

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Planung ist ein Zentralbegriff unserer Zeit. Sie ist aber kein modernes Phänomen. Als gedankliche Vorwegnahme von Handlungsabfolgen zur Erreichung von Zielen ist sie so alt wie zielbewußtes Handeln in menschlichen Gemeinschaften.

Sie ist aber heute quantitativ und qualitativ etwas anderes als in früheren Zeiten. Da die Planungsphobie ebenso vorbei ist wie die Planungseuphorie, ist es für die Wissenschaft leichter geworden, das Phänomen zu untersuchen. Brünner unternimmt dies am Beispiel der mittelfristigen Finanzplanung. Es dient ihm dazu, Planung im allgemeinen und politische Planung im besonderen zu diskutieren.

Staatliche Planung ist nur dann sinnvoll, wenn die Zwecke des Staates dadurch besser erfüllt werden. Zu

Rationalität und Effizienz treten als Systemziele Integration, Demokratie und Freiheit.

Brünner behandelt insbesondere Demokratie und Freiheit im Hinblick auf staatliche Planung. Er informiert grundlegend über die staatliche Planung und über Probleme des modernen Regierens im parlamentarischen System. Damit spricht das Buch nicht nur den Fachmann an, sondern alle an der Politik Interssierten.

Das Phänomen Planung ist leider in der österreichischen Öffentlichkeit noch nicht Gegenstand von Ver- fassungs- und Verwaltungsreformdiskussionen. Brünner plädiert dafür. Sein Plädoyer kann auf fruchtbaren Boden fallen, da die politischen Parteien diesbezüglich Konvergenzen erkennen lassen.

Es geht nicht mehr um „Markt oder Plan“, sondern um den Versuch, diese Koordinationsinstrumente im Rahmen einer gewaltengeteilten, pluralistischen, Freiheitsräume ausgliedernden, demokratischen Verfassungsordnung zu verwirklichen.

Wenn geplant werden soll, ist es wichtig, zu wissen, wie gehandelt werden kann und muß und was die Planungsbedingungen sind. Zu diesen gehören insbesondere das philosophisch-weltanschauliche Ambiente, das politische System, die Rechtsordnung, das Planungsbewußtsein, die Organisation der Staatsverwaltung, die Planungserfahrung. Diese besteht vor allem im Bereich der Wirtschafts-, Raum- und Finanzpolitik. Der Wohlfahrtsstaat hat dabei die staatliche Planung begünstigt; die Förderungsverwaltung wurde zum besonderen Planungsinstrument.

Im Anschluß an die Bestandsaufnahme der Planungsbedingungen erörtert Brünner die Frage, welche normativen Anforderungen die Rechtsordnung an die staatliche Planung stellt. Einer ausführlichen rechtsdogmatischen Anaylse wird dabei das Problem der Parlamentarisierung der (Finanz)Planung unterzogen.

Brünner zeigt, daß ein rechtswissenschaftlicher Typusbegriff politische Planung (mit den Merkmalen Zukunftsbezogenheit, Bestandsaufnahme, maßnahmenbezogene Zielsetzung in der Zeit, politische Rationalität, Koordination, Einsatz von planungsspezifischen Techniken, Prozeßhaftigkeit) gebildet werden kann.

Auf Grund der Haushaltsrechtsentwürfe ist ein solcher Begriff auch hinsichtlich der mittelfristigen Finanzplanung möglich. Vom richtigen Befund ausgehend, daß Finanzplanung und Investitionsprogramm Akte der Regierung im funktionellen sind, untersucht er, welche verfassungsrechtlichen Determinanten für Regierungsakte gelten. Dabei werden das parlamentarische System, das Prinzip der Gewaltenteilung und das Legalitätsprinzip erörtert.

Indem Brünner politische Planung der Regierung im funktionellen Sinn zuordnet, wird es ihm möglich, das Problem der Zuordnung politischer Planung zu den Staatsfunktionen zu lösen: Politische Planung ist demnach keine vierte, fünfte oder n-te Gewalt, sie ist aber auch nicht durch Exekutive oder Legislative in toto vereinnehmbar. Sie ist von jenen Organen auszuüben, denen Zuständigkeit zum „Regieren“ zukommt.

Bei Gegenüberstellung von parlamentarischen System und Finanzplanung schließt Brünner, daß analog dem Staatsvertrag von Bedeutung und dem Budget die Zuständigkeiten zwischen Bundesregierung und Parlament zur Finanzplanung so zu teilen sind, daß jener das Vorlagerecht, dem Nationalrat aber das Genehmigungsrecht zusteht.

Brünner behandelt dankenswerterweise auch das Problem der international breit diskutierten „Depos-

sedierung“ des Parlaments. Er schneidet damit eine Grundfrage der Herrschaftsausübung an, nämlich die Legitimität. „Besitzt im System repräsentativer Demokratie das Parlament als das unmittelbar demokratisch legitimierte Organ keine substantielle, zentrale Position im Prozeß der Herrschaftsausübung und Regierung des Staates, dann wird das System auf lange Sicht nicht aufrechterhalten werden können.“

Brünners Analyse kommt besondere Bedeutung zu, als er allgemeine Aussagen über die Beziehung Parlament-Regierung (Verwaltung) macht und so einiges nachholt, was andere versäumt haben. Dabei wird noch zu klären sein, inwieweit aktive Reformpolitik mit den bestehenden Institutionen ohne „Depossedierung“ des Parlaments überhaupt möglich ist.

Das Parlament dürfte durch eine Verbesserung der Zusammenarbeit von Exekutive und Legislative’im Zusammenhang mit der Regierungs fähigkeit unseres Gemeinwesens mehr Aufwertung erfahren als durch eine Verstärkung der Gewaltenteilung. Durch die Verbesserung der Zusammenarbeit wird das Parlament mehr zum Regierungsorgan, da es mehr am Planen und Koordinieren teilnimmt.

Brünner gelingt es vorzüglich, komplexe Probleme zu klären. Konkrete Fragestellungen nimmt er zum Anlaß, zu allgemeinen Fragen Stellung zu nehmen. Sein Buch ist allen zu empfehlen, die sich mit Planung und Parlamentarismus beschäftigen. Es ist zu hoffen, daß es die Diskussion über die Planung im parlamentarischen Regierungssystem beeinflußt.

POLITISCHE PLANUNG IM PARLAMENTARISCHEN REGIERUNGSSYSTEM - FORSCHUNGEN AUS STAAT UND RECHT. Von Christian Brünner. Springer Verlag, Wien-New York 1978, 395 Seiten, öS 960,-.

Manfried Welan ist Rektor der Universität für Bodenkultur in Wien und derzeit Vorsitzender der österreichischen Rektorenkonferenz.

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