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Linke sucht nach ,neuer Mehrheit'

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Peter Glotz, Vordenker der bundesdeutschen Sozialdemokraten, breitete kürzlich vor erwartungsvollen Zuhörern im Renner-Institut der SPÖ in Wien seine Überlegungen zur „Organisation einer regierungsfähigen Linken" aus. Nebenzweck dieses Ereignisses war wohl auch die Werbung für sein jüngstes Buch mit dem Titel: „Die Arbeit der Zuspitzung".

Es soll nicht zu böse klingen: Im Renner-Institut hat Glotz eine Inhaltsangabe seines Buches mit einer Autorenlesung kombiniert. Der „scharfsinnigste Theoretiker der deutschen Sozialdemokratie" ließ spüren, daß die SPD infolge des Machtverlustes zutiefst verunsichert und orientierungslos ist. Denn anstatt eines Handlungskonzepts präsentierte Glotz eine Problemanalyse im besten Soziologen-Deutsch.

In Gestik und Sprachduktus Willy Brandt imitierend, leistet SPD-Bundesgeschäftsführer Glotz eine angstverbreitende Krisenbeschwörung und gefällt sich in seinem Kurven über selbsterzeugten Angstwellen. — So jedenfalls im genannten Buch und anläßlich seines Auftritts im Renner-Institut. Sein CDU-Pendant, Heiner Geißler, bewertete das Glotz-Werk denn auch als „literarische Vorlage eines Horror-Films".

Und in der Tat: bemerkenswert ist, was fehlt; nämlich eine umfassende Analyse der Ursachen, warum die SPD nicht mehr in der Bonner Regierung sitzt und Wahlen verliert. Es fehlt eine fundierte Auseinandersetzung darüber, ob und wie jene „neue Mehrheit"links von der jetzigen Regierung zustande kommen soll. In welcher Form etwa eine Zusammenarbeit mit den Grünen denkbar ist: Im übrigen ein Hauptproblem der SPD-internen Ideologie-Diskussion, seitdem in Hessen mit Hilfe der Grünen die Sozialdemokraten nur mehr mit erheblichen Zugeständnissen regieren können.

Es fehlt eine Konzeption des neuerlichen Machterwerbs; gerade dieser Mangel kann nicht mit dem Zugeständnis überspielt werden, „daß es der programmatischen Anstrengung" bedarf. Ebensowenig kann die Erkenntnis, daß ein „seelischer Klimawechsel für den Machtwechsel" entscheidend ist, die nicht offengelegte Polit-Strategie ersetzen. Und auch nicht lockere Formulierung, daß „Mütterchens und Facharbeiter an der SPD zweifeln". - Diese Glotz-Zitate aus der Diskussion korrespondieren mit seiner Buch-Aussage: „Die Linken sind sprachlos und verzweifelt".

Was Glotz der CDU als praktizierte Erfolgsstrategie konzedierte, ist offenbar das Rezept, wie eine Opposition mehrheitsfähig wird: Zum einen ist es der CDU/ CSU zwischen 1972 und 1982 gelungen, „die Reste der alten, konservativen Honoratiorenpartei in eine moderne Mitgliederorganisation überzuführen"; zum anderen hat sie es geschafft, „durch mehrere erfolgreiche Diskurse die Linke in die Defensive zu bringen".

Als Offensiv-Themen eigneten sich — unter anderen — Staatsverschuldung, Aufschwung, Neue Soziale Frage. In diesen Worten ist es der jetzigen Regierung gelungen, ihre alternative Politik auf einen anschaulichen Begriff zu bringen. Weil, um nochmals den Strategen des Machterwerbs zugunsten der CDU/CSU, Generalsekretär Geißler, zu zitieren: „die Macht der Ideen und des Wortes die eigentliche Machtm der Opposition" darstellen.

Vor diesem Hintergrund wohl versucht nun Glotz, die .Arbeit der Zuspitzung" zu betreiben und als „wesentlichste Aufgabe der SPD in den nächsten Jahren" zu begründen — um, so die Hoffnung, „eine regierungsfähige Linke" zu organisieren.

Glotz skizziert zwei „Theorien mittlerer Reichweite", die er als „zweite Ostpolitik" und als „sozial gesteuerte Innovation" etikettiert. (Letzteres übrigens findet auf knapp zwei Seiten seines 192-Seiten-Opus Platz.) Er spricht -wohlklingend für jedes 68er-Ohr — von der erforderlichen „antagonistischen Kooperation" und meint dabei die Zusammenarbeit von Gewerkschaft und Wirtschaft - in einem SPD-regierten Staat. Er spricht von „flächendeckender Modernisierung" der Wirtschaft und will deshalb „Privatinitiative" und „unternehmerisches Denken" fördern. Diese Einsicht ist umso erstaunlicher, weil es Glotz nie verabsäumt, sich der ideologischen Rückendek-kung durch Karl Marx zu versichern.

Wie könnte nun die „deutsche Linke" aussehen, die sich angesichts von „sechs Problembündeln" bzw. „großen Brüchen" (Strukturelle Arbeitslosigkeit / Sanierung des Sozialsystems / Zusammenbruch des Patriarchalismus / Ablösung des Ausplünderungsparadigmas gegenüber der Natur / Verfall der Massenloyalität gegenüber Rüstungslogik / Widerstand gegen technisierte Staatsapparate) organisieren beziehungsweise neu finden muß. Statt Antworten zu diesen Problembündeln lieferte Glotz im Nachrichtenmagazin „profil" Andeutungen und Fragen:

„Wie kann die englische Situation vermieden werden, in der die Spaltung der Linken den erneuten Sieg der Rechten ermöglichte. Wie drückt man die ,neue Mehrheit' in die Defensive?"

So bleibt Glotz die Antwort schuldig, wie eine „regierungsfähige Linke" entstehen könnte. Es sei denn, man akzeptiert als strategische Antwort: die Linke solle „probieren,... ein Bündnis zwischen traditioneller Linken, den technischen Eliten und den nachdenklichen Mehrheiten... zustande zu bringen".

Der Autor ist Leiter des Büros von ÖVP-Bundesparteiobmann Alois Mock.

Literaturhinweis: DIE ARBEIT DER ZUSPITZUNG. Uber die Organisation einer regierungsfähigen Linken. Von Peter Glotz. Siedler Verlag. Berlin 1984. 192 Seiten.

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