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Not lehrt denken

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Was veranlaßt zu einem neuen Denken? Was verhilft einem neuen Denken zum Durchbruch? ,Jm theologischen Denkraum gilt nicht nur das Sprichwort JVot lehrt beten', vielmehr gilt hier darüber hinaus: Not lehrt denken. Das zeigt sich schon daran, daß religiöse Innovationen, auch wenn sie sich in der Folge als noch so fruchtbar erwiesen, im Regelfall nur zögernde Aufnahme fanden, wenn sie nicht sogar anfänglich auf heftigen Widerstand stießen. Was ihnen dann Einlaß verschaffte, war in der Regel nicht die Anerkenntnis ihrer Gültigkeit, sondern die Erfahrung, daß es ohne sie kaum noch sinnvoll weiterging“ (Eugen Biser).

Um eine Wende herbeizuführen, genügt nicht die Uberzeugungskraft eines Gedankens, „vielmehr muß er in die Lauge eines diffusen, meist von Noterfahrungen ,gestauten' Bewußtseins fallen, um sich auskristallisieren zu können“.

Die Tatsache, daß Not denken lehrt oder einem neuen Denken zum Durchbruch verhelfen kann, läßt sich durch viele Beispiele nachweisen.

So spricht Eugen Biser die Uberzeugung aus, daß die wachsende Weltangst, die in der Spätantike zum beherrschenden Lebensgefühl geworden war, wesentliche Mitursache für die Rezeption der Botschaft Jesu war.

Ähnlich habe der ungeheure Sprachverschleiß in der gegenwärtigen Kommunikationswelt das moderne Sprachdenken herausgefordert, wie auch die Erfahrung des massenhaften, organisierten — und industrialisierten — Sterbens in diesem Jahrhundert der beiden Weltkriege und der Konzentrationslager dem gegenwärtigen Todesverständnis zum Durchbruch verholfen habe.

Auch der Friede als alternativloses Prinzip menschlicher Gemeinschaft sei durch die massive Kriegsdrohung erkannt worden, und das ökologische Bewußtsein sei weniger durch wirtschaftliche Erwägungen als durch Sympathiegefühle mit der durch technische Ausbeutung zerstörten Natur entstanden.

JVot lehrt denken“ ist kein allgemeingültiges Prinzip; wie auch die Not nicht immer beten, sondern auch fluchen lehren kann.

Trotzdem entspricht dieses Wort einem breiten Erfahrungswissen. Auch der Verlorene Sohn im Gleichnis vom Barmherzigen Vater lernt durch die Erfahrung der Not ein neues Denken, das zu einer Wende, zur Umkehr führt. So muß auch die Kirche sich immer neu auf die Nöte der Menschen und ihre eigenen Nöte einlassen, um zu einem neuen Denken und Handeln fähig zu werden.

Dritter Teil einer Serie zum Buch „Die glaubensgeschichtliche Wende“ von Eugen Biser (Styria).

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