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Wende

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Der Begriff „“Wende“ ist zu einem politischen Schlagwort geworden und hat in den letzten Jahren viel an Ernst und Glaubwürdigkeit verloren. Trotzdem gebraucht auch Eugen Biser dieses Wort. Er stellt die Frage: Stehen wir vor einer g laubensg eschichtlichen Wende? Mit dieser Frage möchte er in der heute so komplexen und oft verworrenen geistesgeschichtlichen Situation eine Klärung herbeiführen.

A ber kann es überhaupt eine Glaubenswende geben? Ist der Glaube nicht das stabilisierende Element in Kirche und Gesellschaft, wie es auch im Leitwort der Karthäuser zum Ausdruck kommt: Stat crux dum orbis volvitur — Es steht das Kreuz, während der Erdkreis im Umbruch ist —? Und ist es nicht in einer Zeit des Umbruchs wichtiger, vom Glauben als stabilisierenden Faktor zu sprechen als von Glaubenswende?

Dagegen ist Eugen Biser der Uberzeugung, daß Jesus selbst mit dem Programm der großen Geistes- und Glaubenswende“ angetreten ist: ,J)ie Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1J.4). Und alle großen Beweger und Initiatoren der christlichen Glaubens- und Theologiegeschichte hätten sich auf diesen „Originalton“ eingestimmt.

Es gab also auch in der christlichen Geschichte immer wieder epochale Neuansätze, sei es theoretisch zur tieferen Erfassung der Glaubensgeheimnisse, sei es praktisch zur radikalen Verwirklichung der Botschaft Jesu, die mit Recht als Glaubenswende bezeichnet werden könnte.

Eine solche Wende kann entstehen, wenn es gelingt, die unter der Oberfläche liegenden unbewältigten Probleme, uneingestandenen Sehnsüchte und oft ungeahnten Möglichkeiten freizulegen und anzusprechen. Eugen Biser verweist in diesem Zusammenhang auf einen Vierzeiler von Josef von Eichendorff: ,JSchläft ein Lied in allen Dingen, Die da trau-. men fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort.“

Eine Glaubenswende entsteht nicht durch eine Abkehr von der Welt, sondern durch eine intensive Hinwendung zur Wirklichkeit. Umkehr wird weniger herausgefordert durch ävßere Imperative, als durch Erfahrungen, durch Erleiden. ,Jm religiösen Denkraum ist die Entwicklung neuer Kategorien fast durchwegs die Folge eines Erfahrungs- und Realitätsgewinns, der erkannt sein will und deshalb die Kategorienbildung erzwingt. Im Grenzfall kann es sich dabei auch um die Erfahrung eines Defizits handeln“ (18).

Zweiter Teil einer Serie zum Buch „Die glaubensgeschichtliche Wende“ von Eugen Biser (Styria).

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