7208851-1992_23_04.jpg
Digital In Arbeit

Wolgarepublik als Utopie

19451960198020002020

Im größten Kino Moskaus fand vor kurzem der Kongreß der Rußlanddeutschen statt. Dabei wurde auch die Erage der Errichtung einer Wolgarepublik erörtert. Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion leben annähernd zwei Millionen Deutsche.

19451960198020002020

Im größten Kino Moskaus fand vor kurzem der Kongreß der Rußlanddeutschen statt. Dabei wurde auch die Erage der Errichtung einer Wolgarepublik erörtert. Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion leben annähernd zwei Millionen Deutsche.

Werbung
Werbung
Werbung

Man geht davon aus, daß Rußlanddeutsche in der Größenordnung von 100.000 bis etwa 300.000 für eine Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland in Betracht kommen. Wie der Präsident des Bundes der Vertriebenen Czaja ausdrücklich betonte, sei die Bundesrepublik bereit, auf entsprechenden Antrag Rußlanddeutsche aufzunehmen - obwohl dies große Probleme mit sich bringe. Eine eigene Arbeitsgruppe „Wiedergeburt" hat sich außerdem in Bonn für die Umsiedlung von Deutschen aus dem Wolgagebiet in die Ukraine ausgesprochen.

Das Hauptziel bleibt aber unverändert die Wiedererrichtung der Wolgarepublik. Aber der Vorsitzende des Zwischenstaatlichen Rates (ZSR) der Deutschen in der früheren UdSSR und Vorsitzende der Rußlanddeutschen „Wiedergeburt", Heinrich Groth, vertrat die Meinung, daß eine derartige Wiedergründung reine Utopie sei. Die Bundesrepublik ist allerdings dafür, grundsätzlich hat sich ja auch der russische Präsident Boris Jelzin positiv in dieser Angelegenheit ausgesprochen - nur unter der Voraussetzung, daß dann die Wolgarepublik zu 95 Prozent aus Deutschen besteht. Das ist aber tatsächlich eine Utopie.

Von Jelzin und schon früher von Michail Gorbatschow wurde außerdem angeregt, 50.000 aus dem Gebiet von Ostpreußen (Königsberg) stammende Deutsche wiederum nach Ostpreußen zu transferieren und im Raum Königsberg eine alte „Neue Heimat" zu schaffen. Dagegen ist schon Polen heftigst aufgetreten, während Litauen der Meinung ist, das Gebiet von Königsberg gehöre weder zu Rußland noch zu Polen, sondern zu Litauen.

Die Frage, was die Rußlanddeutschen nun eigentlich zu erwarten haben, ist offen. Kundgebungen - so zum Beispiel in der Berliner Deutschlandhalle mit mehr als 10.000 Teilnehmern - forderten gleiche Rechte für die vertriebenen Deutschen sowohl in der Sowjetunion wie in Mitteldeutschland.

Derzeit erscheinen einige deutsche Zeitungen der ehemaligen Wolgadeutschen, aber auch der übrigen Rußlanddeutschen - und zwar in Alma Ata, der Hauptstadt von Kasachstan: Die „Deutsche Allgemeine" mit dem Chefredakteur Konstantin Ehrlich, ferner die schon 1777 gegründete „St. Petersburger Zeitung", dazu kommt noch die „Zeitung der Wolgadeutschen" (ZDW), die im Deutschen Verlag Venus, des Bundes der deutschen Jugend UVA zur Moskauer Wochenzeitschrift „Neue Zeit" dazugekommen ist. Die erste deutsche Ausgabe erschien schon 1945, aber nach vorübergehender Einstellung ist sie ebenfalls wieder auf dem Pressemarkt erschienen.

Die Frage in Moskau war auch, ob die Rußlanddeutschen den Wunsch hätten, nach der Übersiedlung nach Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Die Mehrzahl der Teilnehmer des Kongresses von Moskau sprach sich dafür aus. Der Vertreter der Deutschen Bundesregierung und Aussiedlerbeauftragte, Staatssekretär Horst Waffenschmidt, erklärte in einer Ansprache in Moskau, daß er volles Verständnis für die Ungeduld der Rußlanddeutschen habe, die endlich über ihr künftiges Schicksal Bescheid wissen wollten

Dieses Schicksal ist noch Verhandlungsgegenstand. Die Ukraine hat sich als sehr interessiert gezeigt, im Südteil möglichst viele Rußlanddeutsche anzusiedeln - also ohne Bezugnahme auf eine Wolgarepublik. Man muß auch bedenken, daß auf dem Boden der ehemaligen Deutschen Wolgarepublik Russen angesiedelt wurden und das Land nur teilweise unverbaut geblieben ist. Das ist auch ein Problem, das noch ins Kalkül gezogen werden muß.

Die Bundesrepublik findet sich jedenfalls in einer schwierigen Lage, was die Wiedererichtung der Wolgarepublik anlangt. Es gibt zu viele Meinungen und man weiß noch immer nicht, welche Erfolgsaussichten die einzelnen Varianten der geplanten Umsiedlung, Aussiedlung und Rück-siedlung den meisten Erfolg versprechen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung