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Relikte des Feudalismus?

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Auf der ohnehin schon sehr glatten und schadhaften Piste der innenpolitischen Zusammenarbeit bietet sich eine neue Hürde. Im Rahmen einer Parteiversammlung der SPÖ im niederösterreichischen Kurort Baden teilte der reformfreudige Innenminister mit, daß sein Ressort beauftragt wird, unverzüglich einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, mit dem die Demokratisierung der Bezirkshauptmannschaften in Angriff genommen werden soll. Der jetzige Zustand, sagte der Bundesminister laut dem sozialistischen Zentralorgan, entspricht nicht den demokratischen Grundsätzen der österreichischen Verfassung. Statt frei gewählten Bezirkshauptleuten stehen den Gemeinden Beamte vor, bei deren Bestellung auf die politischen Verhältnisse in den Bezirken nahezu keine Rücksicht genommen wird.

Die vorgeschlagene „Demokratisierung” der Bezirkshauptmannschaften kann nicht als bloße Parole der linken Reichshälfte im Hinblick auf die im nächsten Jahr fälligen Landtagswahlen im Lande unter der Enns angesehen werden. Es ist das eine gesamtösterreichische Angelegenheit. Der SPÖ-Abgeordnete Eib- egger erklärte in der Palaments- debatte am 2. Dezember: „Die Selbstverwaltung kann in Österreich noch viel stärker ausgebaut werden. Wir sehen nicht ein, daß den frei gewählten Bürgermeistern bestellte Beamte vorstehen müssen. Wir werden diesen Kampf um die Demokratisierung der Bezirksverwaltungen so lange führen, bis demokratische Bezirksverwaltungen existieren. Die Sozialisten hoffen sehr, daß sich die Demokraten der anderen Parteien diesen Bestrebungen anschließen werden, damit die autoritären Bezirkshauptmannschaften, diese Überbleibsel aus der Monarchie, verschwinden.”

Bereits vor einem Jahr haben die Sozialisten im Regionalparlament unter der Enns die Grundfesten unserer Verwaltung in den Bezirken als „Relikte des Feudalismus” bezeichnet. (Dazu gehören also auch die von sozialistischen Bezirkshauptleuten geleiteten Verwaltungsbehörden in Kärnten usw.)

Die Sprecher der SPÖ berufen sich bei ihren Appellen nach der Demokratisierung der Bezirksbehörden auf die Verfassung. Wieweit bestehen die Angriffe und Forderungen nun zu Recht?

Die Bundesverfassung aus dem Jahre 1920 sah — man kann auch sagen sieht — die Umgestaltung der Bezirksverwaltung in der Rich-

tung einer Demokratisierung und Ausgestaltung zur Selbstverwaltung vor. Die Ortsgemeinden sollten zu sogenannten Gebietsgemeinden zusammengefaßt werden. Allerdings wurde nie ein entsprechendes Ausführungsgesetz zur Verwirklichung dieses Programms erlassen. (Die in der Steiermark geschaffenen autonomen Bezirksverbände, sie umfassen in der Regel einen Gerichtsbezirk, wurden auf Grund der Ermächtigung durch das Reichsgemeindegesetz aus dem Jahre 1862 eingerichtet. Sie erhielten nur beschränkten Wirkungskreis und können mit den heutigen Bezirkshauptmannschaften nicht verglichen werden.)

Nach Adamovich — siehe Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts, Band 1, S. 177 ff. — ist in Österreich eine allgemeine territoriale Selbstverwaltung in der Stufe zwischen Gemeinden und Land derzeit nicht eingerichtet. Die sogenannte Demokratisierung, mit der die Wahl der Bezirkshauptleute verbunden wäre, könnte nach der gegenwärtigen Rechtslage nur durch Bundesverfassungsgesetz erfolgen.

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