Die Erfahrungen des "Stadtschamanen"

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Viele Rollen, die früher Priester innehatten, werden aufgrund des aktuellen "Religionswandels" nun auch von Therapeuten besetzt. Aber das Verhältnis der Psychotherapie zur Spiritualität ist hochgradig angespannt - und tendiert heute zur Ausgrenzung.

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Viele Rollen, die früher Priester innehatten, werden aufgrund des aktuellen "Religionswandels" nun auch von Therapeuten besetzt. Aber das Verhältnis der Psychotherapie zur Spiritualität ist hochgradig angespannt - und tendiert heute zur Ausgrenzung.

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August Thalhamer ist erfreut: Vor kurzem hat der Linzer Psychotherapeut einen Bescheid des Verwaltungsgerichts Oberösterreich erhalten. Jetzt empfindet er so etwas wie Genugtuung. Das gegen ihn angestrengte Verfahren wegen "Übertretung des Psychotherapie-Gesetzes" wurde eingestellt. Und das hat schon eine nervenaufreibende Geschichte: Im Jänner 2014 hat das Gesundheitsministerium bei der Bezirkshauptmannschaft Anzeige erstattet, dass Thalhamer auf seiner Webseite auch Heilmethoden "ausgelobt" hat, die nicht mit wissenschaftlich fundierten Psychotherapien im Einklang stünden. Es gab ein Straferkenntnis der Stadt Linz: "Fachfremde Werbung","unsachliche" oder gar "unwahre Information" lauteten die Vorwürfe.

Kampf um Kategorien

Der studierte Theologe setzt sich seit langem mit schamanischem Heilen auseinander -und hat das auch als besondere Kompetenz und Fähigkeit kundgetan. Aber durch die aktuelle "Richtlinie zur Frage der Abgrenzung der Psychotherapie von esoterischen, spirituellen und religiösen Methoden" müssen Psychotherapeuten entsprechende Angebote von ihrem standesgemäßen Auftritt strikt fernhalten: egal, ob es sich um Bibliodrama, Energiearbeit, Psychosynthese, Meditation, Tai Chi, Reiki, Handauflegen, holotropes Atmen oder eine der vielen anderen spirituellen beziehungsweise "transpersonalen" Behandlungsmethoden handelt.

Diese dürfen nur mehr auf einer separaten Webseite veröffentlicht werden; eine Verlinkung ist nicht zulässig. Auch in der praktischen Arbeit ist es verboten, spirituell orientierte Interventionen vorzuschlagen oder durchzuführen, außer wenn der Klient dies ausdrücklich verlangt.

"So wie ich sind hunderte Kollegen mit Strafen und Berufsverbot bedroht, wenn sie nicht ihre spirituellen Behandlungsangebote verleugnen", sagt der "Stadtschamane" Thalhamer. "Statt einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesen Methoden droht die rechtliche Keule." Er selbst konnte nachweisen, dass sich die Werbung auf seiner Homepage nur auf seine nebenberufliche und somit nicht auf die psychotherapeutische Tätigkeit bezieht.

"Spirituelle Therapie" und "psychologische Beratung" fielen eben in eine andere Kategorie. Zudem kann eine gesetzliche Übertretung hier nur auf Basis eines Sachverständigengutachtens angelastet werden, hielt das Gericht fest.

Rhetorischer Eiertanz

Was für den unbeteiligten Beobachter wie ein rhetorischer Eiertanz anmutet, sei in Wirklichkeit ein heftiger Kulturkampf, der von der medialen Öffentlichkeit fast unbeachtet bleibt: Der neue Materialismus zieht hier exemplarisch gegen Spiritualität und Religion zu Felde, meint Thalhamer. Er kritisiert den Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) dafür, als Interessenvertretung eine harte "Ausgrenzungsrichtlinie" zu vertreten. "Der dominante Ansatz des Positivismus schließt alles Transzendente aus, er lässt nur gelten, was man messen und verstandesmäßig erklären kann. Das aber wäre der Tod jeder Psychotherapie."

Nicht die geringsten Spuren eines Kulturkampfes kann hingegen Gerhard Pawlowsky erkennen. "Wir haben uns nur an das Psychotherapie-Gesetz zu halten", sagt der stellvertretende Vorsitzende im Wiener Landesverband für Psychotherapie. "Das Problem ist schlicht die Missbrauchs-und Verwechslungsgefahr beim staatlich anerkannten Berufstitel eines Psychotherapeuten. Auch wenn man Hippotherapie, also tiergestützte Therapie mit Pferden, anbietet, dürfte dies nicht auf der Psychotherapie-Webseite aufscheinen - selbst wenn diese Therapieform in vielen Fällen durchaus sinnvoll ist." Der Wiener Therapeut freilich gesteht zu, dass spirituelle Elemente in der Therapie nicht immer exakt zu trennen sind.

In der Psychotherapie-Forschung gibt es derzeit zwei unterschiedliche Denkmodelle: Das eine strebt möglichst objektive Erkenntnisse an, durch numerische Werte und ihre statistische Auswertung. Das andere setzt auf qualitatives Forschen und Sinnauslegung und ist somit eine wichtige Ergänzung. Denn Psychotherapie lässt sich nur bruchstückhaft durch Zahlen auf den Punkt bringen. Komplexe subjektive Erfahrungen und ihre Bedeutungen lassen sich nicht mit Rechenmodellen erfassen. Ein reflektierter Umgang mit den Grenzen der Messbarkeit sei dringend nötig, fordert daher Gabriele Riess jüngst im "Psychotherapie Forum", dem wissenschaftlichen Organ des ÖBVP.

Neue Aufklärung?

Das passt ebenso zum Slogan einer "Neuen Aufklärung" - der Titel des diesjährigen Forum Alpbach -wie das jüngste Buch von August Thalhamer, eine Streitschrift gegen "die Reduktion des Menschen auf naturwissenschaftlich erfassbare Materie" (s. Kasten)."Wo bleibt die Stärke unserer westlichen Kultur, Unerklärliches zu erforschen und verblüffende Erfahrungen wissenschaftlich zu untersuchen?", fragt der Autor. Er weist etwa darauf hin, dass die global tätige WHO die Erforschung des Schamanismus nahelegt und diesem Heilsystem seit 1980 dieselbe Bedeutung in der Behandlung psychosomatischer Krankheiten zuerkennt wie der westlichen Medizin. Nur auf dem Boden der Wissenschaft wird es jedenfalls möglich sein, effektive spirituelle Verfahren gegen unseriöse Esoterik, Scharlatanerie und Geschäftemacherei in neuer, differenzierter Form abzugrenzen.

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