"Liebet eure Feinde!“

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Seit längerem befasst sich August Thalhamer mit der Bedeutung christlicher und schamanischer Heiltraditionen für die Psychotherapie: ein FURCHE-Gespräch zum therapeutischen Umgang mit dem "Bösen“.

Die Furche: Brauchen wir aus psychotherapeutischer Sicht Figuren des personifizierten Bösen wie den Teufel?

August Thalhamer: Nein. Es ist freilich in mehreren Psychotherapie-Richtungen, vor allem in der Gestalttherapie, üblich, auch destruktive Persönlichkeitsanteile nach außen zu projizieren - wie Sigmund Freud es ausgedrückt hätte. Wenn diese einem als Personen oder eigenständige Wesen gegenüberstehen, kann man ihnen oft leichter - und auch wirksamer! - entgegentreten und ihren Einfluss im Zaum halten.

Die Furche: Gibt es Besessenheit auch jenseits der Psychose?

Thalhamer: Aus meiner therapeutischen Erfahrung sind "Besessenheiten“ immer krankhaft. Umgekehrt gehen etwa Wahnvorstellungen aus schamanischer Sicht stets auf "Besetzungen“ zurück. Ob jemand durch Stimmen gequält wird, kann man leicht feststellen. Die Erklärung, warum die Stimmen verschwunden sind, ist schon schwieriger. In vielen Stammeskulturen werden Phänomene berichtet, die man wissenschaftlich nicht erklären kann. Aus psychologischer Sicht sind Engel und Dämonen Projektionen - aber wenn man den Begriff "Projektion“ ernst nimmt, wird man feststellen, dass man nur etwas nach vorne werfen kann, was man ohnehin in sich trägt.

Die Furche: Gibt es Ähnlichkeiten in der christlichen Vorstellung des Teufels und den bösen Dämonen im Schamanismus?

Thalhamer: Wie alle Hochreligionen baut auch das Christentum auf den schamanischen Traditionen auf. So wurde auch übernommen, dass es gute, helfende sowie böse, störende Geister gibt. Vor Jahrzehntausenden haben unsere Ahnen schon erkannt, dass der Mensch nicht nur helle, sondern auch Schattenseiten kennt, die man sich eben außerhalb als Engel oder Dämonen vorstellte.

Die Furche: Wie beurteilen Sie den kirchlichen Exorzismus aus psychotherapeutischer Sicht?

Thalhamer: Ich kenne nur die Aussagen führender Exorzisten und die Literatur über den Fall Anneliese Michel. Was mich als Theologen und Psychotherapeuten besonders stört, ist die Bosheit und Feindschaft gegenüber dem so genannten "Bösen“ und die Stigmatisierung und moralische Abwertung der Patienten. Wer möchte schon als Handlanger des Teufels bezeichnet werden! Zudem: Fürchten sich andere vor dem Betroffenen, ist dies für den Heilungsprozess sicher nicht dienlich. Gerade in einem reaktionärem kirchlichen Umfeld werden wesentliche Triebe wie Sexualität und Aggression oft abgewertet und abgespalten - mit schlimmen Folgen, siehe Kindesmissbrauch. Vielleicht kennen Sie den Witz, wo der Vater seinen Buben schlägt, da dieser seine Schwester geschlagen hat: "Das wird Dich lehren, dass man andere nicht schlagen darf!“ Gemäß Berichten gehen kirchliche Exorzisten genau nach diesem Muster vor. Aber wer weiß, vielleicht gibt es auch liebevolle Exorzisten, die sich nach dem Gebot Jesu richten "Liebt eure Feinde! Tut denen Gutes, die euch hassen!“, und dies auch dem Bösen gegenüber.

Die Furche: Und wie läuft die Geisteraustreibung im Schamanismus ab?

Thalhamer: Auch aus schamanischer Sicht ist das Böse nicht auszurotten, aber man kann - wie Jesus in der Versuchungsgeschichte - lernen, damit umzugehen und seine Destruktivität im Zaum zu halten. So genannte "Besetzer“ müssen meist extrahiert und verwandelt werden. Der Schamane lässt sich dabei von den "Guten Geistern“ anleiten und ist nur das ausführende Organ.

Die Furche: Welcher Umgang mit diesen destruktiven Kräften unserer Psyche ist anzuraten?

Thalhamer: Psychologisch handelt es sich bei dem, was in der Tradition der Urvölker und der Kirche als "Besetzung“ bezeichnet wird, meist um "Verstrickungen“ mit Familienangehörigen, "Übernahmen“ von Vorfahren etc., was ja oft vorkommt. Da geht es also um eine Trennung der Schicksale und respektvolles Loslassen, auch zum Beispiel alter Schuld, oder umgekehrt um ein Annehmen bisher unerwünschter Seelenanteile. Das ist wohl der Hauptunterschied: Das "Böse“ wird in den meisten Psychotherapie-Richtungen nicht bekämpft, sondern integriert, wobei man auch seine gute Absicht erkundet und würdigt. Für den Patienten ist dies oft ein schmerzlicher Prozess, verbunden mit Scham, Wut oder Weinen. Es handelt sich um innere, gefühlsmäßige Vorgänge. Gewalt hat hier gar keinen Platz, sondern stets warmherzige, schützende und liebevolle Begleitung.

Die Furche: Gibt es auch eine psychotherapeutisch fundierte Form des Exorzismus?

Thalhamer: Sicher, zum Beispiel wenn der Patient trainiert, mit einem Trauma fertig zu werden. Therapeutisch ist es für mich unerheblich, ob ich eine religiöse Ausdrucksweise verwende oder die psychologische: Es handelt sich lediglich um zwei verschiedene Formen, dasselbe Phänomen zu beschreiben - wie man sich auch in verschiedenen Fremdsprachen über denselben Gegenstand unterhalten kann.

Die Furche: In einem Buch beleuchten Sie schamanisches Wissen im Lichte westlicher Psychotherapie und christlicher Überlieferung. Wo sehen Sie die Verbindungen?

Thalhamer: Was sie bei aller Unterschiedlichkeit verbindet, ist, dass es um Problemlösung und um Heilung geht. Schamanismus und Christentum verbindet auch die Annahme einer übernatürlichen Welt, wobei die Verbindung des Menschen mit einer transzendenten Wirklichkeit von Bedeutung ist. In der westlichen Psychologie hat dieses über uns Hinausgehende ein säkularisiertes Äquivalent gefunden: Nicht der Therapeut heilt, nicht der Patient, sondern etwas "Drittes“, das etwa in der Humanistischen Psychologie als "Die Weisheit des Unbewussten“ bezeichnet wird.

Die Furche: Inwiefern kann christliches Denken für die Psychotherapie hilfreich sein?

Thalhamer: Wahr ist, dass es "ekklesiogene Neurosen“ gibt, also psychische Störungen, die auf die kirchliche Erziehung zurückzuführen sind. Wahr ist aber auch, dass das Vertrauen auf einen guten Urgrund des Seins und die Eingebundenheit in eine lebendige Pfarrgemeinde gesundheitsfördernde Wirkungen haben. Ist ein Patient gläubig, gehe ich bewusst auf sein Gottvertrauen ein und nütze es für den Heilungsprozess.

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