Verwaistes Exil im teuren Westen

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Das ungarische Priesterseminar in Wien ist heuer genau 100Jahre in der Boltzmanngasse beheimatet. Doch die nachwuchsgesegneten Zeiten sind vorbei.

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Das ungarische Priesterseminar in Wien ist heuer genau 100Jahre in der Boltzmanngasse beheimatet. Doch die nachwuchsgesegneten Zeiten sind vorbei.

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Isten aldd meg a magyart, jo kedvvel, bo''seggel." Samstag abends erfüllt ungarischer Kirchengesang das mächtige Gebäude in der Wiener Boltzmanngasse. Das Pazmaneum, das alte ungarische Priesterseminar erwacht zu neuem Leben. Traditionsgemäß wird hier die ungarische Vorabendmesse mit der Nationalhymne beendet, wie es seit Generationen fast überall in Ungarn getan wird: "Segne Herr mit frohem Mut reichlich den Magyaren..." Die Ungarn waren stets große Patrioten und sind es noch. Unermüdlich haben sie für ein Ende der kommunistischen Herrschaft in ihrem Land gebetet. Auch heute noch kommt jeden ersten Samstag im Monat eine kleine Gruppe ungarischer Gläubiger in der Kapelle des nach seinem Gründer benannten Pazmaneums zusammen, um für die ungarischen Minderheiten zu beten. Gemeint sind die in Rumänien, in der Slowakei, im ehemaligen Jugoslawien ansässigen Ungarn, in jenen Ländern also, die sich noch nicht so gut wie Ungarn von den 40 Jahren kommunistischer Herrschaft erholt haben.

Gleich in der Nachbarschaft der amerikanischen Botschaft, gegenüber vom Wiener Priesterseminar, steht das vierstöckige Gebäude, in dem bis vor etwa fünf Jahren die bisher letzten Priesterstudenten aus Ungarn und Siebenbürgen wohnten. Die Zeiten, als hier noch eine große Zahl angehender Priester ihre Studien betrieb, sind vorbei - zumindest vorläufig, meint der Rektor des Hauses, Arpad Veres.

Einsame Mauern Seit 1. September 1990 ist der aus Erlau (Eger) im nordöstlichen Ungarn stammende Arpad Veres Herr des Hauses. Ernannt werden die Rektoren des Pazmaneums seit 1953 vom jeweiligen Wiener Erzbischof. "Das Institut ist und bleibt ein Priesterseminar", betont Arpad Veres. "Für ungarische Verhältnisse ist die Ausbildung hier in Österreich allerdings sehr teuer. Die Studenten, die im Haus wohnen und an der Wiener Universität studieren würden, benötigten ein Stipendium von etwa 7.000 Schilling im Monat. Das macht eineinhalb Millionen Forint im Jahr aus - für Ungarn eine horrende Summe." Und so bleibt das Seminar derzeit während des Studienjahres leer. Teile des Gebäudes werden unterdessen an die amerikanische Botschaft sowie an die österreichische Bischofskonferenz vermietet. Das Haus bietet neben mehreren ungarischen Kulturinitiativen auch der ungarischen Pfadfindergruppe ein Zuhause.

Voller war das Haus zu Lebzeiten Peter Pazmanys, des Gründers des Collegium Pazmaneum, wie der offizielle Name des ungarischen Priesterseminars lautet. Der aus einer protestantischen Familie stammende spätere Kardinal und Erzbischof von Gran (Esztergom) wurde 1570 in Großwardein, heute das rumänische Oradea, geboren. Er studierte in Krakau, Wien und Rom, trat den Jesuiten bei und lehrte an der Universität Graz. Er wirkte als Priester, theologischer Schriftsteller und gründete neben dem ungarischen Priesterseminar in Wien auch die Universität in Tyrnau in der heutigen Slowakei.

Im damals durch die Türkenherrschaft dreigeteilten Ungarn gab es kaum 300 katholische Priester. Der Großteil der Bevölkerung im östlichen Ungarn war protestantisch geworden. Der dreißigjährige Krieg wirkte sich auch auf Ungarn aus, und Peter Pazmany musste vor den protestantischen Truppen, die gegen die Herrschaft der Habsburger im dritten Teil des Landes kämpften, nach Wien fliehen.

Hier kaufte Pazmany 1619 das Kollonitsch-Haus in der Annagasse und gründete ein Priesterseminar. Nach dem Krieg betraute er die Jesuiten mit der Leitung des Hauses. Der in Europa weit verbreitete, ausgezeichnete Ruf der damaligen theologischen Fakultät der Universität Wien hatte die Entscheidung Peter Pazmanys begründet, ausgerechnet hier ein ungarisches Priesterseminar einzurichten. So öffnete das Institut 1623 seine Pforten für die ersten Studenten. 13 Jahre lang sorgte der Gründer selbst für die finanzielle Sicherheit des Instituts. Bis zu seinem Tod wurden bereits 124 Priester ausgebildet. Das Collegium Pazmaneum fiel schließlich 1784 den Generalseminaren Josefs II. zum Opfer und wurde erst 1803 von Franz I. wieder eingerichtet.

In der Blütezeit des Instituts verlegte der damalige Rektor Miklos Szechenyi, ein Spross der berühmten ungarischen Adelsfamilie, das Pazmaneum in das heutige Gebäude, in dem es heuer das 100. Jahr beherbergt ist. Viele bedeutende ungarische Kleriker studierten in dem heute eher still gewordenen Seminar in der Boltzmanngasse. 150 Bischöfe gingen aus den 6.000 Pazmaniten hervor, sechs von ihnen wurden sogar Kardinäle.

Haus der Zuflucht Es ist wohl auch kein Wunder, dass Kardinal Jozsef Mindszenty das Pazmaneum zu seiner Zufluchtsstätte erwählte. Nachdem er nach dem Ungarnaufstand 1956 fünfzehn Jahre lang als politischer Asylant in der amerikanischen Botschaft in Budapest gelebt hatte, bezog er am 23. Oktober 1971, genau am fünfzehnten Jahrestag des Aufstandes, seine Residenz im heutigen Rektorat des Pazmaneums. Ein Gedenkzimmer zeugt noch heute von der Beherbergung des hohen Gastes.

Nur für kurze Zeit füllt sich das Haus heute alljährlich mit einer jungen Theologenschar. In den Sommermonaten führt der Wunsch nach Perfektionierung ihrer Deutschkenntnisse junge Theologen aus Ungarn nachWien, und so nehmen auch diesenJuli wieder etwa 20 Theologiestudenten an den deutschen Hochschulkursen der Universität Wien teil. Während dieser Zeit werden sie im Pazmaneum beherbergt und verköstigt. Dann füllt sich auch die Kapelle zur ungarischen Vorabendmesse im Pazmaneum wieder, zu der sich während des Jahres regelmäßig etwa zwanzig Gläubige einfinden. Meist feiert sie Rektor Arpad Veres mit seiner Gemeinde, doch oft kommt auch ein "alter Pazmanit", auf dessen Initiative die Heilige Messe am Samstag eingeführt wurde. Geza Valentiny, Oberseelsorger der Ungarn in Österreich, hängt sehr an dem Haus: "Das Pazmaneum ist meine Alma Mater," schwärmt er als ehemaliger Student des Hauses. Von 1945 bis 1952 erhielt der aus Ungarn stammende Priester hier seine Ausbildung. "Die Priesterausbildung in Ungarn ist seit dem Kommunismus und auch jetzt, in den Jahren danach, nicht nur ein Problem der Quantität. Es gibt nur wenig Nachwuchs, und für eine Ausbildung im Ausland müsste ein bestimmtes Niveau erreicht werden," betont der ungarische Oberseelsorger den Zweck des Instituts. Doch auch er ist voller Hoffnung, was die Zukunft betrifft: "Das Pazmaneum füllt sich wieder, wir müssen nur abwarten, wie sich die Situation in Ungarn entwickelt."

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