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Dornrschen oder tiefgekhlte Leiche?

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Läßt sich die Wiener Börse aus ihrem nun schon sieben Jahre dauernden „Baisse-Schlaf“ noch erwek-ken oder ist sie bereits reif, aufs Eis gelegt zu werden, das heißt, sollte man den Aktienhandel in Wien nicht besser einstellen? Diese Frage muß sich ein Beobachter des Wiener Börsengeschehens während der letzten Jahre unbedingt stellen. In einem Pressegespräch hat der Generaldirektor der Girozentrale, Dr. Taus, erst vor kurzem einen dreizehn Punkte umfassenden Reformvorschlag zur Wiederbelebung des österreichischen Aktienmarktes erläutert.

Nach einer kritischen Analyse der Entwicklung auf dem österreichischen Aktienmarkt im Jahr 1968 kommt die Girozentrale zu dern Schluß, daß der Wiener Aktienmarkt „weder auf wirtschaftliche noch auf politische oder sonstige Faktoren Rücksicht nimmt, geschweige denn befähigt ist, einen Konjunkturaufschwung zu eskontieren. Sein Eigenleben ist seit mehreren Jahren so negativ ausgeprägt, daß ihm die Eigenschaft, Konjunkturbarometer zu sein, weitgehend abzusprechen ist“.

Diese Feststellung wird durch die Tatsache begründet, daß seit dem Scheitelpunkt der Aktienhausse 1962 die Kurse der österreichischen Aktien ständig zurückgegangen sind. Das traurige Resümee dieser Entwicklung: „Manche Aktien sind nur noch halb soviel wert wie 1962, bei einigen Papieren, z. B. Austria-Emaü. Lapp-Finze oder Solo, schwanken “die Verluste zwischen 70 urid“9ö Prozent.“ Da weder die Ausgabe von Gratisaktien das Kaufinteresse zu beleben vermochte, die inländischen Investmentfonds immer mehr gezwungen werden, ihre Mittel ebenfalls im Ausland anzulegen, um mit den Resultaten ausländischer Fonds konkurrieren zu können, ist der Aktienmarkt immer weniger in der Lage, die volkswirtschaftlich bedeutungsvolle Funktion der Eigenkapitalaufbringung für Unternehmungen zu erfüllen. Nach Meinung der Girozentrale steht der österreichische Aktienmarkt heute an einer Weggabelung: Entweder zur völligen Bedeutungslosigkeit abzusinken — das-.■■Endergebnis . wäf e, daftr;.alle österreichischen '• Papiere, .mangels Nächfragei dmafronanroaifken eingefroren sind — oder es muß zur Herausführung aus der derzeitigen Stagnation ein energischer Versuch gemacht werden, den Aktienmarkt wieder die ihm in einer entwickelten Volkswirtschaft zukommenden Funktionen erfüllen zu lassen.

Rückkehr zur „klassischen“ Form

Im einzelnen sind die wichtigsten Vorschläge der Girozentrale folgende:

• strengere Publizitätsvorschriften für börsenotierte Gesellschaften in Form von Halbjahresberichiten und Aktionärsbriefen,

• Aufstellung von Normen für die Errechnung von signifikanten Bör-senkennzahlen und deren Publikation sowie eine Bereinigung de Kursblattes um jene Gesellschaften, deren Aktien mehrere Jahre hindurch dividendenlos geblieben sind oder die die Publizitätsvorschriften nicht erfüllen wollen,

• die Einführung neuer österreichischer Industriewerte an der Aktienbörse, darunter auch junge Aktien aus Kapitalerhöhungen bei verstaatlichten Unternehmungen,

• Einflußnahme auf eine aktionärsfreundlichere Dividendenpolitik der Unternehmungen,

• Aufklärung und Werbung für österreichische Aktien durch die Massenmedien, beispielsweise durch eine tägliche; KursübertraguMBOfn; Fernsehen,

•Värptticnttöig fQt s'äJntHehr Investmentfonds, die in Osterreich Investmentanteile absetzen, Teile ihres Absatzes in österreichischen Papieren anzulegen.Diese Vorschläge wurden in den Finanznachrichten von Horst Knapp noch um einen — seiner Meinung nach den wichtigsten — Punkt ergänzt. Horst Knapp schlägt vor, daß „die Kreditinstitute ihre Debitoren veranlassen mögen, bestehende Kreditengagements durch junge Aktien abzulösen, und sich bereit erklären, diese Verbesserung der Finanzierungsstruktur zu erleichtern, daß sie Teile der Aktienemission vorerst ins eigene Portefeuille nehmen, was gewiß keine revolutionär neue Idee, sondern nur die Rückkehr zur .klassischen' Form der Industriefinanzierung durch den Bankapparat wäre“.

Es bleibt zu hoffen, daß diese jüngsten ¥orScMge nicht tfttrfcÄf'DIs-kussion über die Börse und den AfeienmaW angereW'&äbeh, “soft-' dem daß sie auch dazu beitragen, den österreichischen Aktienmarkt aus seiner Stagnation herauszuführen.

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