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Im Interesse der Sache

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Durch einen Anruf des schwedischen Journalisten Per Hegge erfuhr Alexander Issajewitsch Solschenizyn, zuletzt in einem Holzhaus seines Freundes Rostro-powitsch bei Moskau lebend, von der Auszeichnung, die ihm von der Schwedischen Akademie zuerkannt worden ist. — In den Literarischen Blättern der „Furche“ wurden wiederholt Prosaarbeiten des derzeit bedeutendsten russischen Schriftstellers abgedruckt, auch Polemiken um seine Person und sein Schaffen wiedergegeben, seine wichtigsten Bücher besprochen. So können wir uns heute auf einige kurze Hinweise beschränken: Solschenizyn wurde 1917 (nach anderen Angaben 1918) in Kislo-wodsk geboren, absolvierte kurz vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges mit Auszeichnung das Studium der mathematischen und naturwissenschaftlichen

Fakultät der Rostower Universität, studierte zwei Jahre lang im „Fernunterricht“ die Fächer Geschichte, Philosophie und Literatur und diente im Krieg als Artillerieleutnant, zuletzt in Ostpreußen, wo er 1945 vom sowj. Sicherheitsdienst verhaftet wurde. Acht Jahre verbrachte er in einem Lager, 1953 wurde er — nach Mittelasien — entlassen und drei Jahre später „rehabilitiert“. Jetzt konnte er in Rjasan, wenige hundert Kilometer von Moskau, unterrichten und schreiben. Für die Veröffentlichung seines sensationellen Berichts aus einem Strafgefangenenlager („Ein Tag im Leben des Iwan Denisso-witsch“) hatte sich 1962 Chruschtschow persönlich eingesetzt. „Krebsstation“ und „Der erste Kreis der Hölle“ konnten nur im Ausland erscheinen. In den Jahren 1963 bis 1965 konnte Solschenizyn mehrere Erzählungen in der progressiven Literaturzeitschrift „Nowyi mir“ drucken lassen, zum Beispiel „Matrjonas Hof“, „Zwischenfall auf der Station Kretschetowka“, „Im Interesse der Sache“ und andere. Doch dann kam das Publikationsverbot und, 1969, der Ausschluß aus dem Schriftstellerverband, zugleich mit dem Angebot, das Land zu verlassen. Von dieser Möglichkeit hat seinerzeit Pasternak keinen Gebrauch gemacht. Er bekannte sich als russischer Schriftsteller und Sowjetbürger. Was wird nun Solschenizyn tun? Er könnte irgendwo im Westen von seinen Tantiemen als freier Schriftsteller leben. Allein die deutschen Auflagen seiner Bücher gehen in die hunderttausend. Im Hermann-Luchterhand-Verlag sind die beiden Hauptwerke erschienen sowie — unter dem Titel „Im Interesse der Sache“ — jene Sammlung von Erzählungen, aus der man den besten Eindruck über die Entwicklung des Schriftstellers Solschenizyn und über die Breite seines Spektrums gewinnen kann. (Lizenzausgaben von „Krebsstation“ und „Der erste Kreis der Hölle“ sind auch von der Buchgemeinschaft Donauland herausgebracht worden.) Im Interesse der Sache sollte sich die Regierung der UdSSR im Fall Solschenizyn größzügiger verhalten als bei Pasternak: ihm die Annahme des Preises offiziell gestatten und ihn seinen Aufenthalt frei wählen lassen. Das würde ihrem Ansehen mehr nützen, als die kleinlichen Rügen, die man von offizieller Seite einem der größten Autoren der UdSSR erteilt hat.

Solschenizyn wurde der Literaturnobelpreis verliehen „für die ethische Kraft, mit der er sich zu den unveräußerlichen Traditionen der russischen Literatur bekannt hat“. Und Solschenizyn selbst sagt über seine Aufgabe als Schriftsteller: „Wer stets in rosarotem Optimismus schwelgt, dem ist seine Heimat gleichgültig.“

Nun werden wir in den nächsten Tagen und Wochen sehen, ob man ,.im Interesse der Sache“, nämlich der der russischen Literatur, zu handeln imstande ist, oder ob die Partei der Neider und linien-feuen Kritiker siegen wird.

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