6648462-1958_38_10.jpg
Digital In Arbeit

DAS VERQESSENE WELTREICH

Werbung
Werbung
Werbung

Es gehört zu den eigentümlichsten Zeiferscheinungen der Gegenwart, dafj der Oester-reicher keine deutliche Vorstellung von der einstigen Weltgeltung des Hauses Oesterreich besitzt. Das Gebiet der heutigen Bundesrepublik wie auch das Oesterreich der Babenberger vor der Belehnung des Hauses Habsburg umfassen und umfaßten kaum ein Hundertstel des europäischen Kontinents. Zur Vergegenwärtigung des vergessenen Weltreiches der Casa de Ausfria aber reicht eine Europakarte nicht hin. Mit Karl V. begann es den Erdball zu umgürten, mit Philipp II. ging in ihm die Sonne nicht unter. Nur am Rande sei vermerkt, daß alle später britischen Welfstützpunkfe, Gibraltar, Malta, Aden, Bombay, Ceylon, Singapur auf habsburgischem Reichsboden standen und die technischen Leistungen des Suez- und Panamakanals auf entsprechende geistige Voraussetzungen zurückführen. Das Weltreich der Casa de Austria umfaßte die heutigen zwanzig iberoamerikani-schen Staaten von Kalifornien bis zum Kap Hoorn, die Südhälfte der heutigen Vereinigten Staaten von Nordamerika, die Inselwelten des Pazifiks und Atlantiks, die Küsten Afrikas, Arabiens und Indiens, ein Stützpunktsystem von Abessinien, Aden, Oman, Hormuzd und Ceylon bis Burma, ein rjaktoreiennefz auf Sumatra, Java und den Molukken. Es umfaßte die Inselwelt der Philippinen, erreichte in Makao Chinas gelbe Erde und griff über einen breiten pazifischen Inselsfreifen zwischen Hawaii und der Osferinsel zurück zu seinem Kern-gebief, dem amerikanischen Kontinent. Niemals hat der Name Austria größere Geltung besessen.

Von diesem vergessenen Weltreiche künden heute die Namen von Weifteilen und Weifmeeren. Die Hälfte der Erde hat ihren Namen von Geographen und Admiralen der Casa de Austria erhalten. Im Jahre 1507 gab der Gelehrte Martin Waldseemüller, ein Freiburger der österreichischen „Vorlande“, an deren einstige Sendung der Landesname Vorarlberg erinnert, der „Neuen Welt“ ihren bleibenden Namen: Amerika. Im Jahre 1520 benannte Karls V. Admiral Maaallanes das • größte Weltmeer, den Pazifischen Ozean. Hunderte von Namengebungen folgten dem Beispiel dieses ersten Weltumseglers. Die Karolinen und Philippinen tragen den Namen der großen Gründer und Vollender des Weltreiches, die Namen Karls V. und Philipps II. Philipp III. war es, der einen gebürtigen Portugiesen, Pedro Fernandez de Quiroz, mit der Entdeckung des hypothetischen Süd-kontinenfes der Erde beauftragle. Wie Kolumbus in den Antillen Indien zu erblicken glaubte, so hielt Quiroz die 1606 von ihm entdeckten „Neuen Hebriden“ für dieses unbekannte Südland. Als er ihm den Namen „Austrialia“ gab und es, wie einst Baiboa den Pazifischen Ozean, symbolisch bis zum Südpol für die Casa de Austria in Besitz nahm, übergriff das als lateinisch angesehene Aequivalent für das Osfland Oesterreich auf die Terra ausfralis incognifa. Erst 1817 ist der heutige Name des fünften Kontinents von der britischen Regierung offiziell anempfohlen worden. So reichte seit Quiroz von den Philippinen und Karolinen bis zu den heutigen Neuen Hebriden ein breiter Inselstreifen, dessen Benennung unmittelbar auf das Haus Oesterreich wies. Symbolischerweise geschah dies an der portugiesisch-spanischen Nahtlinie der beiden Welthölften.

Man sollte nicht vergessen, daß das Weltreich der Casa de Ausfria im Grunde eine globale Weltföderation war, ein gigantisches Oeslerreich-Ungarn, dessen spanische Weifhälfte Oesterreich, die portugiesische Ungarn entsprach. Wie im Mikrokosmos der späteren Donaumonarchie vertrat auch im Makrokosmos dieses Weltdualismus das Haus Oesterreich das einende Element. Es war Richard von Kralik, der 1914 in seiner „Oesferreichi-schen Geschichte“ den Satz prägte:„.Spanien fühlte sich mit seinen amerikanischen Nebenländern als ein Großösterreich, zu dem auch die Sekundogenitur an der Donau gehörte.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung