Die Körperlichkeit des Daseins

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"Das flämische Stillleben": eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums im Palais Harrach.

Es ist die ungemeine Sinnlichkeit, die diese Gemälde so faszinierend macht. Bei den Sujets - Schinken, Fische, Würste, Früchte, Gemüse und Blumen aller Art - geht es nicht um große Erzählungen oder heroische Gestalten, sondern um die Begeisterung an der alltäglichen, materiellen Wirklichkeit an sich. Das muss auch Künstlern des 20. Jahrhunderts wie den Protagonisten des "Wiener Aktionismus" oder den amerikanischen Pop Art-Künstlern ungemein sympathisch erschienen sein. Lange wurde das Stillleben aber genau aufgrund dieser Tatsache verachtet. In der Hierarchie der Kunstgattungen lag es stets an unterster Stelle, wurde doch die Erfindung, die "Inventio", stets höher geschätzt als die angeblich bloße Nachahmung der Wirklichkeit, die "Imitatio".

Unter Stillleben versteht man Bilder, auf denen unbewegte, meist kleinere Gegenstände und regungslose Tiere dargestellt sind. Das Wort erscheint zunächst widersprüchlich, lässt sich aber aus seiner niederländischen Entstehungsgeschichte heraus erklären. Den "still" bezog sich in der Atelierpraxis der Künstler auf den Gegenstand der Darstellung und "Leben" auf die Art der Malweise: Möglichst "nach dem Leben gemalt", realitätsgetreu, sollten die Dinge sein.

Der Mensch hat auf Gemälden dieses Genres keinen Platz. Auch das scheint für die Kunstwelt lange ein Problem gewesen zu sein. Umso erfreulicher ist es, dass sich derzeit eine große Schau im Wiener Palais Harrach dieser Gattung widmet. Die Ausstellung schränkt ein und konzentriert sich auf das flämische Stillleben aus der Zeit von 1550 bis 1680 in Abgrenzung zum holländischen. Über 120 Gemälde aus internationalen Museen haben die Kuratoren des Kunsthistorischen Museums in Kooperation mit der Kulturstiftung Ruhr in Essen, der zweiten Station der Schau, zusammengetragen. Gefolgt wird das "Flämische Stillleben" von einer zweiten Gemeinschaftsproduktion mit Essen im Jahr 2004, bei der man sich ebenfalls auf die flämische Kunst, diesmal die Landschaftsmalerei, konzentriert.

Die einzelnen Räume des Palais Harrach sind jeweils unterschiedlichen Typen des Stilllebens gewidmet. Da gibt es Gemälde zu sehen, auf denen ausschließlich Lebensmittel - eingebettet in Küchen- oder Marktszenen - dargestellt werden. Hier begeistert vor allem die Modernität der Fleisch-Bilder Pieter Aertsens und Joachim Beuckelaers, die in einer nahezu brutalen Direktheit die Körperlichkeit des Daseins in Form von Schweineköpfen, Innereien und Würsten in den Vordergrund rücken.

Weniger blutrünstig geht es in der Abteilung mit den Blumenstillleben, etwa von Jan Brueghel dem Älteren zu. Die fiktive Zusammenstellung von mehr als 130 Blumensorten auf einem Bild wie dem "Großen Blumenstrauß in einem Holzgefäß" erweckt Vorfreude auf den kommenden Sommer, auch wenn man sich von derartigen Sujets durch Hunderte Kopien und Nachahmungen im Laufe der Jahrhunderte bereits satt gesehen hat und sich nur schwer den bürgerlichen Beigeschmack wegdenken kann. Dies liegt keineswegs an den großartigen Bilderfindungen der damaligen Künstler als vielmehr an der Rezeption.

Als besonders spannendes Seherlebnis erweist sich aus heutiger Perspektive auch der Bereich mit der "Trompe-l'Sil-Malerei". Hier geht es um illusionistische Augentäuschungen und somit auch um die Frage nach dem Verhältnis von Kunst, Medium und Wirklichkeit. Cornelis Norbertus Gijsbrechts "Trompe-l'Sil eines Kunstkammerschrankes" ist eine faszinierende Mischung aus Malerei und realem Gegenstand. Indem Teile des Gemäldes durch eine tatsächliche Schranktür ersetzt werden, durchbricht Gijsbrechts die Zweidimensionalität und überschreitet so die Grenzen der Malerei. Ebenfalls ein Beispiel dafür, dass gewisse Fragen bereits über Jahrhunderte hindurch Künstler beschäftigten, bis sie in einer Epoche erst zum Hauptthema der Kunst werden.

Bis 21. Juni

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