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Zwischen Göttern und Dämonen

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Die große Ausstellung „Präkolumbische Kunst aus Mexiko und Mittelamerika“, die am Dienstag voriger Woche durch den Unterrichtsminister im Künstlerhaus eröffnet wurde, stellt ohne Zweifel ein großes kulturelles und künstlerisches Ereignis dar. Nicht weniger als 1022 Einzelobjekte aus den verschiedensten privaten und öffentlichen Sammlungen Europas und Amerikas sind hier zu einem einzigartigen Ueberblick über die Kulturen Mittelamerikas vereint, der vom Archaikum, etwa 1500 vor Christus, bis zu den letzten Ausläufern der Mayakultur, 1679 nach Christus, reicht. Zusätzlich werden außerdem noch Werke des Kolonialstils, mexikanischer Volkskunst und einige Bilder und Plastiken bekannter mexikanischer Künstler des 20. Jahrhunderts gezeigt. *

Der Eindruck der präkolumbischen Ausstellung ist überwältigend, und ihrer Bedeutung entsprechend, soll auf einer Kunstsonderseite noch ausführlicher auf sie eingegangen werden.

Als Fernando Cortes, der Eroberer Mexikos, nach der Zerstörung der Stadt Tenochtitlan an seinen König schrieb, daß sie das Schönste gewesen sei, was es auf Erden gegeben hätte (welch eine Ironie des Schicksals, der Geschichte — der widerwillige Mörder mit ästhetischen Gefühlen für sein Opfer), waren die Höhepunkte dieser Kulturen bereits überschritten. Tenochtitlan, von der der Konquistador berichtete, war die Hauptstadt der Azteken gewesen, .eines kriegerischen Volkes, das erst wenige hundert Jahre vorher die politische und kulturelle Führerrolle in Zentralmexiko an sich gerissen hatte. Seine plastischen Kunstwerke, von düsterer und furchtbarer Kraft, sind nur eine der vielen künstlerischen Manifestationen dieser Ausstellung. Ihre elementare, brutale Gewalt erinnert daran, daß das Kreuz wohl die alten Kulte mit ihrer vorgeschichtlichen Schrecklichkeit der Menschenopfer beseitigen konnte, aber nicht jene eigentümliche Einstellung zum Tode, die noch heute den Mexikanern, den Indios, eigen ist. Sie, wie die anderen Kunstwerke der Ausstellung, strömen jene magische Kraft aus, die nur in einer geschlossenen Vorstellungswelt entstehen kann, einer religiösen, die das gesamte Leben durchdringt und alle seine Aeußerungen mit dem Mysterium tremen-dum kosmischer Beziehungen füllt. Das vielleicht ist das eigentliche Erlebnis der Ausstellung, das über das ästhetische weit hinausgeht.

Das ästhetische Wohlgefallen an der präkolumbischen Ausstellung wird durch zwei Dinge schwer beeinträchtigt: durch eine sinnwidrige, die Form störende Aufstellung und Beleuchtung der Plastiken und durch die unnötige, ermüdende ägyptische Finsternis, die sie streckenweise einhüllt, der allgemeine, auf billige Wirkungen bedachte Geisterbahncharakter ihrer „Gestaltung“. Trotzdem sollte sie niemand versäumen, denn es ist seit sehr langer Zeit die wichtigste, schönste und bedeutendste Ausstellung, die Wien erlebt hat. Wer sie mit besonderem Genüsse betrachten will, der lese vorher — oder darnach — Eduard Stucken, „Die weißen Götter“, Salvador de Madariaga, „Das Herz aus Jade“, oder am besten Prescotts Standardwerk „Die Eroberung Mexikos“.

Der Oesterreichischen Kulturvereinigung, dem Unterrichtsministerium, der Gemeinde Wien und nicht zuletzt dem mexikanischen Staat ist zu danken, daß sie diese Ausstellung ermöglicht und nach Wien gebracht haben.

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