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Almvilla am Transitweg

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Verbieten sie den Transit, wuchern die Zweitwohnsitze - verbieten sie die Zweitwohnsitze, so wuchert der Transit.

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Verbieten sie den Transit, wuchern die Zweitwohnsitze - verbieten sie die Zweitwohnsitze, so wuchert der Transit.

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Mit Betroffenheitsma-sochismus ist da nichts auszurichten. Man muß die Wünsche der reichen Europäer schon verstehen jind nicht gleich schreien: Ausverkauf der Heimat, Transithölle, Blutschokolade, Alpenpiste, Euro-Bundesheer, Brüsselkommando, und so weiter!

Aus der Wellenmechanik ist zu lernen, daß sich eine Welle durch eine andere Welle auslöschen läßt. Und aus der Kinderstube wissen wir, daß sich zwei widersprüchliche Wünsche oft gegenseitig aufheben und darüber auch noch Zufriedenheit herrscht. Nur bis zu unseren EU-Politikern hat sich solche Kenntnis und Erfahrung noch nicht ausreichend durchgesprochen.

Da ist also zunächst der legitime Wunsch der näheren und auch entfernteren Nachbarn, sich im schönen Alpenland, wo die Sennerin jodelt und sich die Milka-Kühe Gute Nacht sagen, einen bescheidenen Zweitwohnsitz zu schaffen. Landschaftsverbunden selbstverständlich, fünfstöckiger Beton mit knorriger Holzverkleidung und Felsbrocken auf dem Blechdach. Merkwürdigerweise haben heimische Urbewohner, die diesen Stil, besonders wenn er noch mit bunter Lüftlmalerei verziert war, als Hotelbau lebhaft begrüßten, kleinliche Einwände gegen eine weitere private Erschließung der Almlandschaft.

Dieser Widerstand muß gebrochen werden. Österreichs wilde Natur bedarf der baulichen Zähmung. So wie ja auch unsere Wasserläufe der Zivilisation dienstbar gemacht wurden. Warum denn keine Geisterstädte, da doch dieses Land so sehr der großen Geister bedarf!

Die multikulturelle Dorfgesellschaft als allsommerliches Festspiel befruchtet die bäuerliche Kultur. Lasset die Zweitwohnsitze zu uns und über uns kommen!

Wenn sie dann noch wollen. Denn - Ökopunkte hin oder her - es kommen ja nicht nur die europäischen Ferienappartements, sondern auch die durchreisenden Brummis, die der ländlichen Stille den wohligen Sound ihrer Motoren und Reifen und der würzigen Luft das köstliche Aroma ihres Auspuffs beimischen.

Die Fremden, die sich allzu abseits der großen Wege leicht in der österreichischen Bergwildnis verloren fühlen, erhalten auf diese Weise die Gewißheit, daß Europa sie nicht aufgegeben hat. Sparsam wie Zweit-wohnsitzer nun einmal sind, erspa ren sie sich den nächtlichen Besuch in der Kuhstall-Disco, weil sie den Lärm ohnehin stets um die Ohren haben. Und die Einheimischen stehen ihnen umso lieber zu Diensten, weil sie ohnehin nicht schlafen können. So hat eben alles Vorteile, die die Menschen einander näher brin-

Sen- . . .

Ungeschickt wie die EU-Werbung mit ihren schwer verdaulichen Broschüren und Strichmännchen im Fernsehen nun einmal ist, weiß sie diese wirklichen Vorteile nicht richtig herauszustreichen.

Österreichs EU-Verhandler sind vor einem großen Fehler zu warnen: Verbieten sie den Transit, wuchern die Zweitwohnsitze - verbieten sie die Zweitwohnsitze, so wuchert der Transit. Erlauben sie aber beides -siehe Wellenmechanik —, so entsteht ein einander auslöschendes Gleichgewicht.

Dann demonstrieren die Zweit-wohnsitzer gegen den Transit — und die Transitfrächter gegen die Zweit-wohnsitzer, sie verhindern sich gegenseitig. Und friedlich grasen die Euro-Kühe, absatzfördernd jodeln die Sennerinnen, telegen leuchten die Gipfel im Abendrot.

Im Überschuß intelligenter Landwirtschaftsprodukte entsteht keine Marktlücke für Blutschokolade, fließt kein Kapital für die Alpenpiste, bleibt das aus Heimschläfern rekrutierte Bundesheer doch lieber daheim. Und aus Brüssel schicken sie uns hübsche Ansichtskarten mit herzlichen Grüßen vom Europa-Parlament.

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