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Am liebsten Gratisvorstellungen

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Ein Land, das von Alteingesessenen als „neu” bezeichnet wird, macht Kultur: Thüringen, eins der neuen Bundesländer Deutschlands lädt heuer zum zweiten Mal zu den Domstufen-Festspielen. Vom 12. August bis 3. September laufen Arthur Honeggers/Paul Claudels „Johanna auf dem Scheiterhaufen” und Carl Orffs freiluft-erprobte „Carmina Burana” als szenische Aufführungen. Es spielen das Ensemble und das Orchester der Städtischen Oper Erfurt, das Ballett der Oper, eingeladen sind auch die Konzertchöre aus Kassel und Gotha.

Seit vorigem Jahr gibt es die Domstufen-Festspiele: das Publikum sitzt auf dem Marktplatz und sieht hinauf zum katholischen Dom und der evangelischen St. Severi-Kirche, in der Gleichzeitigkeit von geschäftigem Marktplatz und geistlicher Würde sind die akustischen Gegebenheiten Hürde und Chance.

Für das Orchester der Erfurter Oper bedeutete die politische Eingliederung des Landes einen orchestralen Zusammenschluß in Thüringen mit 20 Kündigungen, die aber durch Frühpensionierungen und Weitervermittlungen gemildert wurden. Auch die Prüfung der Stasi-Vergangenheit einzelner Mitglieder ist vorbei, und noch während die Erfurter Oper auf ein neues Haus wartet, hat Generalmusikdirektor Wolfgang Rogner ihr Programm erneuert.

Der Spielplan wurde erweitert: Neben Publikumshits wie „Carmen” und dem Ballett „Dornröschen” stehen Musicals - „Der Zauberer von Os” - auf dem Programm. Nachmittagsvorstellungen erleichtern Senioren den Weg in die Oper (und von dort wieder nach Hause). „Ich würde am liebsten ein paar Gratis-Vorstellungen anbieten”, sagt Bögner.

In der Erfurter Oper herrscht gerade jene Atmosphäre zwischen freundlicher Vertrautheit und künstlerischer Ernsthaftigkeit, die ein neues Publikum anzieht und altes nicht verschreckt. Dem Opernbuffet haftet zwar noch eine billige Lässigkeit an, aber das musikalisch Gebotene ist erstklassig. Eine Aufführung des „ Wozzeck” im Juni klang - ohne Pause - erfrischend unsentimental, mit einem jungen Ensemble, dessen Einsatz, wie Rogner weiß, manchmal riskant ist. Rogner plant, der neueren Musik die Säle der Stadt zu öffnen, dazu Ensembles von auswärts einzuladen. „Wer sich der zeitgenössischen Musik verweigert, hat seine Zeit verfehlt” - ist er sich der Verantwortung als Musikprogramm-Macher bewußt.

Ein großes Fest steht Erfurt heuer noch bevor: Der Auftakt zum Lutherjahr 1996 am 10. November 1995.

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