Die ethische Dimension des Handelns

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Zehn Gebote

Das Ensemble glänzte bei der Premiere: Peter Fasching, Anja Herden, Lukas Holzhausen, Jutta Schwarz, Nadine Quittner, Gábor Biedermann (links). Rechts: Peter Fasching.

"Geschickt verschränkt Kimmig die verschiedenen Szenen aus dem normalen Menschenleben, die alle einen Konflikt sichtbar machen, in die sich der moderne Mensch nahezu unvermeidlich verstrickt."

Als der polnische Filmregisseur Krzysztof Kies´ lowski Mitte der 1980er Jahre gemeinsam mit dem Drehbuchautor Krzysztof Piesiewicz die zehnteilige Fernsehfilmreihe mit dem schlichten Titel "Dekalog" zu schreiben begann, konnte man vermuten, das würde ein sehr konkretes Projekt über die polnische Gegenwart werden. Denn Polen war damals zu Zeiten von Solidarnos´c´ und Lech Wałe sa ein tief gespaltenes Land, in dem die alten Werte des real existierenden Sozialismus wie auch der katholischen Kirche, die sich dem Regime andiente, nicht mehr funktionierten, neue Werte aber noch nicht in Sicht waren.

Es war aber, wie Kies´lowski stets betonte, nicht die Politik, die ihn interessierte, sondern die Neubewertung der Werte in einer Phase der gesellschaftlichen Umformung. So sind die 1989 fertiggestellten Filme des "Dekalog" keine moraltheologische Erörterung oder gar eine Illustration der Gebote aus dem Alten Testament als vielmehr hochkomplexe, fast möchte man sagen, in ihrem Bezug zu den zugrunde gelegten Geboten "schwebende" Versuchsanordnungen, die von alltäglichen Menschen erzählen, die ohne die Orientierung oder gar "Verpflichtung" durch göttliche Gebote auskommen müssen.

Es mag einerseits dem Umstand geschuldet sein, dass wir gegenwärtig wieder einen gesellschaftlichen Umbruch erleben, der den Stoff für das Theater so interessant macht, und andererseits dem erhellenden Hinweis von Kies´lowskis Werk, dass große ethische Fragen nicht allein theoretischer Erörterungen bedürfen, sondern durch unser alltägliches Handeln zu beantworten sind.

Der Chefdramaturg des Wiener Volkstheaters Roland Koberg hat gemeinsam mit dem Regisseur Stephan Kimmig die Vorlage für das Theater bearbeitet. Obwohl ein knapp zehnstündiger Film kaum ohne Verluste in ein dreistündiges Theaterstück überführt werden kann, kann sich das Resultat sehen lassen.

Kimmig erzählt die Geschichten der Menschen einer Plattenbau-Hochhaussiedlung am Rande Warschaus auf einer fast leeren Bühne. Die hohen, manchmal sanft wehenden Plastikplanen geben eine leise Ahnung von der Tristesse solcher Wohnsilos, von der dort herrschenden menschlichen Isolation, von gleichzeitiger Nähe und Einsamkeit, von Enge und Gleichgültigkeit. Im Hintergrund steht das schrottreife Fahrgehäuse eines LKWs, das von einer seltsamen Figur "bewohnt" wird, die auch in der Vorlage immer wieder vorkommt. Eine Figur, die mit der Handlung eigentlich nichts zu tun hat, sondern einfach nur da ist, eine Art stummer Zeuge, ein Engel (des Schicksals) vielleicht. Auf jeder Seite steht eine Reihe Stühle, von wo die sieben Schauspieler jeweils in ihre Szene treten, wobei jeder vier verschiedene Rollen verkörpert. Äußerlich lassen sich die verschiedenen Figuren leicht an den an die 1980er angelehnten Kostüme und Frisuren voneinander unterscheiden, letztendlich sind aber vor allem die erstaunliche Wandlungsfähigkeit des glänzenden Ensembles dafür verantwortlich.

Wirkungsvoll

Geschickt verschränkt Kimmig die verschiedenen Szenen aus dem normalen Menschenleben, die alle einen Konflikt sichtbar machen, in die sich der moderne Mensch nahezu unvermeidlich verstrickt: Da ist die Schwangere, die vom Arzt wissen möchte, ob ihr schwer kranker Mann sterben werde. Denn wäre das gewiss, so würde sie das Kind behalten, das von einem anderen stammt. Würde er aber geheilt werden, so wolle sie das Kind nicht behalten, um ihm den Schmerz über ihre Untreue zu ersparen. Um das Kind zu retten, teilt der Arzt ihr mit, ihr Mann werde sterben. Oder die Geschichte des jungen Postboten, der mit einem Fernglas eine Nachbarin bei ihren flüchtigen sexuellen Begegnungen beobachtet und die, als sie davon erfährt, die Frage nach wahrer Liebe neu stellt. Oder die Geschichte vom impotenten Chirurgen, der seiner Frau nachspioniert und sie gerade dadurch in eine Affäre drängt, oder auch die Geschichte des Mädchens, das in ihren Vater verliebt ist und ihm durch einen fingierten Brief versucht zu beweisen, dass sie die Tochter eines anderen ist.

Kimmig lässt die Geschichten nahe an der Rampe spielen, wobei er auffällig wenig die Tiefe der Bühne, dafür umso mehr ihre Breite nutzt, um auf diese Weise, durch Konfigurationen, Distanzen, Sprechrichtung, Blickregime, durch Kondensierung von Gesten und Körperhaltungen, die Zuschauer wirkungsvoller an der inneren Wirklichkeit der Figuren teilhaben zu lassen. Denn wie Kies´lowski den Film, macht auch Kimmig nicht das Theater zum eigentlichen Ort des moralischen Konfliktes, sondern den Zuschauer.

Die Zehn Gebote Volkstheater, 22., 28. Dez., 5., 7. Jänner

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