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„Armer Bratteli...“
„Mitunter glaubt man, daß sich alle bösen Mächte zusammengetan haben, um der norwegischen Arbeiterpartei das Leben schwerzumachen, denn diese Partei besitzt die ungewöhnliche Eigenschaft, von einem unbehaglichen Konflikt in den anderen zu geraten!“
„Mitunter glaubt man, daß sich alle bösen Mächte zusammengetan haben, um der norwegischen Arbeiterpartei das Leben schwerzumachen, denn diese Partei besitzt die ungewöhnliche Eigenschaft, von einem unbehaglichen Konflikt in den anderen zu geraten!“
So sieht „Aftonbladet“, die größte sozialdemokratische Zeitung Schwedens und zugleich Skandinaviens, die Situation der norwegischen Bruderpartei, und man muß sagen, daß dies noch eine sehr rücksichtsvolle und zurückhaltende Beurteilung einer Lage ist, die in allen sozialdemokratischen Parteien des Nordens tiefe Besorgnis erregt, wohnt ihr doch die Tendenz inne, den Bazillus der Zwietracht auch in die Bruderparteien hineinzutragen. Der Rückgang des Anteiles an der Wählerschaft von 46,5 auf 35,5 Prozent in einer einzigen Wahlperiode bedeutet eine Bedrohung der sozialdemokratischen Positionen im gesamten Norden. Und sind zudem nach vier Wahlniederlagen noch keine überzeugenden Zeichen einer Wendung in der norwegischen Politik erkennbar geworden, so wird die Krise der norwegischen Arbeiterpartei zu einer Lebensfrage für den „Nordischen Sozialismus“ überhaupt.
Die Wunden, die der erbitterte Europamarktstreit den Norwegern geschlagen hat, sind noch lange nicht vernarbt. Als ersichtlich wurde, daß Bratteli von den fünfzehn Sitzen im Kabinett dreizehn an erklärte Befürworter seiner Europapolitik vergeben und nur zwei Gegner der EWG-Mitgliedschaft herangezogen hatte, seufzte das sozialdemokratische „Aftonbladet“ in Stockholm „Armer Trygve Bratteli...“.
Bei der Suche nach den Anfängen
dieser Entwicklung erinnert man sich daran, daß sich bereits wenige Jahre nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges die Führungsspitze der norwegischen Arbeiterpartei gegen den Gedanken einer nordischen Verteidigungsunion und für die Mitgliedschaft in der NATO entschieden hatte. Diesen Beschluß empfindet der große alte Mann der schwedischen Sozialdemokratie, Tage Erlander, heute noch als die größte Niederlage der Idee von einem sozialdemokratisch geeinten Norden. Ohne Norwegen wäre auch Dänemark dem westlichen Militärbündnis nicht beigetreten.
Die starke angelsächsische Schlagseite in der Politik der norwegischen Sozialdemokratie reicht noch weiter in die Vergangenheit zurück als in die Regierungszeit Gerhardsens und seines betont pro-amerikanischen Außenministers Lange. Erst kürzlich stellte eine Friedens- und Konfliktforschungsgruppe der Universität in Uppsala fest, daß von den zwanzig führenden Politikern, die bisher den Friedensnobelpreis erhalten haben, fünfzehn aus den USA stammten. Zwei von ihnen waren sogar Präsidenten, einer ein Vizepräsident und vier waren Minister. Die Untersuchung wurde noch vor der Zuteilung des Preises an Kissinger durchgeführt und sie zeigt mit aller Deutlichkeit, wie sehr bei den bisherigen 55 Entscheidungen des Nobelkomitees in Oslo eine pro-amerikanische Richtung die Wahl bestimmte.
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