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Bluse, hellblau
Tag für Tag schaut das Bild das Sechsjährigen auf mich herab, der kleine Mann trägt eine prächtige Ulanenuniform mit hellblauer Offiziersbluse, mit weißen Aufschlägen, in der linken Armbeuge hält er den eckigen Tschako mit Roßschweif. Dazu winzige Lackstiefelchen, und über die stolz gereckte Brust spannt sich ein Band, das die Silberbüchse f ür den Kämmererschlüssel hält. Wen überrascht’s, daß der Porträtierte mit seinen nur halbgeöffneten Augen von gewässertem Blau, die noch vom Hauch seiner früheren Welt wissen, ein wenig hochmütig dreinblickt, nicht ahnend, was ihm die kommenden Jahre auferlegen und was sie ihm zu bewältigen geben werden.
Wo ist er hingekommen, der kleine Mann, sind die Träume einer glanzvollen militärischen Karriere in Erfüllung gegangen? Wo sind die Gespielen und Gespielinnen, vor denen er in dieser prachtvollen Uniform paradierte? Und der kleine Säbel, mit dem er Heldentaten zu vollbringen gedachte, auch später noch, als er schon sein Ideal im Knaben Bruno der „Problematischen Naturen“ von Spielhagen gefunden hatte?
Freilich, als ihm der Onkel Rittmeister eine kurze Einführung in die Fechtlehre gab und ihn aufforderte, doch jetzt ruhig auf ihn dreinzuschlagen, versagte er. Nicht anders ging es ihm im Leben, er wurde kein Held, kein Offizier, kein General, das Waffenhandwerk wies ihn fremd ab. Hatte er nicht auch mit Eifer Zinnsoldaten aufgestellt und mit einer selbstgebastelten Kanone umgelegt?
O Träume der Kindheit, am Ende ist es wohl so, daß sie die Wirklichkeit antizept schon gegenstandslos machen. Wir sehen auf sie zurück, mit etwas müdem Blick wie die Menschheit ins Paradies. Was dort war, wird nicht mehr. Ja, der kleine Mann liebte seine Uniform, aber als er, größer geworden, zu Weihnachten mit einer schlichten Alpenjägergewan- dung bedacht wurde, regardierte - ja, so sagte man damals, - regardierte er sie nicht. Sie wurde kaum getragen und zog sich demgemäß gekränkt zurück. Das Himmelblau, die Lackstiefeletten, der Säbel und das Portepee, sie blieben als Zenith einer Kindheit, die da und dort doch auch umwölkt gewesen und von immer kürzer werdenden Sonnenumläufen gefolgt war, deren letzter im Abendrot verglüht.
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