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Ein Experiment

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Im Skinnerschen Experimentierkäfig können unterschiedliche Verhaltensweisen durch Betätigung eines Hebels von — sagen wir — einer Ratte gelernt werden. Durch „positive“ (Belohnung) oder „negative Verstärkung“ sowie durch Bestrafung kann das Verhalten in einer bestimmten Weise geformt werden, und zwar in schrittweiser Annäherung an die gewünschte Verhaltensendform. Überträgt man dieses Prinzip von der Ratte auf den Menschen, dann hat man etwa das vor sich, was der Grazer Psychologe Helmut Eisendle (als „Forum“-Autor bekannt geworden durch das Buch „Walder oder Die stilisierte Entwicklung einer Neurose“) mittels der Vereinigten Bühnen- Graz tgid einer sehr ansehnlichen Subvention durch den Bund dem „Steirischen Herbst 72“ zur Verfügung stellte. Diese (fingierte) Dokumentation, deren etwaige Verwandtschaft mit Theater oder gar Kunst der Autor fürsorglich in Abrede stellt, heißt „A Viola-tion Study oder El Condor Pasa“. Das südamerikanische Lied vom Condor, der als Symbol der Macht gilt, wird in Eisendles Lehrexperiment als Stimulus und positiver Verstärker eingesetzt, genauso wie das Geld. Um den Stabilisierungsmechanismus Lohnstrafe noch effi-zenter zu machen, kommen dazu: Elektroschocks über den Fußbodenrost, Lichtreize und Geräusche aller Art, Kreischen, Schreie, Beschimpfungen aus den massiert eingesetzten Lautsprecherboxen. In dieser Versuchsreihe zeigt der Autor, wie die menschliche Ratte, die noch dazu Karl heißt, zu bestimmtem Verhalten gebracht wird oder bei entsprechender Dosierung der Reize sich indifferent zu verhalten lernt.

Theater also als Ort der Aufklärung, als therapeutisches Laboratorium: Eisendle will gegen die Manipulation erziehen, aber mit manipu-lativen Mitteln, und erwartet sich vom Zuschauer Einsichten in die Methoden der Beeinflussung, Kenntnis der Steuermechanismen, um so den Zuseher in den Stand zu versetzen, das eigene Verhalten gegenüber den manipulativen Mächten besser steuern zu können.

Ideale humanitäre Gesinnung zeichnet' das auf den ersten Blick als totales Schock- und Showtheater sich darbietende Unternehmen aus. Liest man das „Textbuch“ mit seiner exakten Versuchsbeschreibung, so stellt sich neben dem Interesse an der wissenschaftlichen Verfahrensweise auch die Neugier auf die szenische Realisierung ein. Die Neugier und das Interesse werden in der Uraufführung auf der Probebühne des Grazer Schauspielhauses indessen nur kurze Zeit wachgehalten (Regie: Gert-Hagen Seebach). Da ein „Referent“ an seinem Vortragspult die Ergebnisse der Versuchsreihe vorwegnimmt, muß der Zuseher eine gute Stunde lang Höllenlärm und Lichtfolter über sich ergehen lassen, genau wissend, was in soundso vielen

Minuten mit der Versuchsperson im Käfig geschehen wird. Der Autor wollte Reaktionen erzeugen: es ist die Frage, ob nicht die Langeweile die Dominante der Publikumsreaktionen war. Zu fürchten ist jedenfalls nach dieser Präsentation, daß die von Eisendle gewünschte Aufklärung des Publikums sich auf die Kenntnis der Melodie von „El Condor Pasa'1' und auf eine gewisse Fixierung der Raiffeisenkasse gegenüber (deren Attribute immer wieder gezeigt werden) beschränkt. Neben berechtigtem Interesse am Werk selbst stellt sich der Gedanke ein, daß die Verbindung von Wissenschaft und Kunst in diesem Fall eigentlich nicht viel mehr als Banalität ergeb&Miat.

Im Rahmenprogramm des „Steirischen Herbstes“ war auch eine ganze Reihe von Amateurtheatern zu sehen. Weit über die Leistungen solcher Gruppen hinaus ging das, was die Villacher Studiobühne bei ihrem Gastspiel zu bieten hatte: das war ein geradezu unwahrscheinlicher Perfektionismus im Zusammenspiel, in der Textrhythmisierung und in der beinahe choreographischen Gestaltung von Szenen am Beispiel von Handkes „Weissagungen“, vor allem aber Tardieus „Sinfonietta“ für Sprechstimmen.

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