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„M”, wie „Monokel”

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Zum SO. Geburtstag des Meisterregisseurs Fritz Lang schenkte uns das Zweite Programm des österreichischen Fernsehens eine Wiederaufführung des Films „M”. („M”, wie „Mörder”.) Einige Tage vorher aber hatte es, ebenfalls im Zweiten Programm, eine Wiederbegegnung mit Fritz Lang selber gegeben, und man hatte, teils schmunzelnd, teils erschüttert feststellen können, daß er, über den Abgrund der Jahre hinweg, das Monokel im Auge behalten hatte und österreichisches Schönbrunnerhochdeutsch sprach, als wäre nichts geschehen.

Abgrund der Jahre! Wer von den Jüngeren vermag zu ermessen, was Fritz Lang uns, den heute Angegrauten, bedeutet hat, als wir heranwuchsen! Kaum der Volksschule entkommen, erlebten wir Buben an zwei atemberaubenden Stummfilmabenden die „Nibelungen”, diese Bilderfolge von noch nie erlebter Intensität und noch nie geschauter klarer photographischer Schönheit. „Dr. Mabuse” blieb uns, den Untermittelschülern, verwehrt, aber in „Metropolis” schmuggelten wir uns ein, in diese gigantische, stumme Parabel einer (damals!) anti-technokratischen Revolution. Unter der Schulbank versteckten wir die Romane, die Thea von Harbou zu den Filmen ihres Gatten in expressionistisch kleingehackten und sehr exaltierten Sätzen schrieb, Romane, die heute, fände man sie im dunkelsten Winkel eines Bücherkastens wieder, ohne Zweifel ein garantierter Lacherfolg wären, damals aber zum neuerlichen Besuch der eben anlaufenden Fritz- Lang-Filme anregten. Und diese Filme waren, und sie blieben es bis heute: unvergleichlich. Unver gleichlich die szenische Dichte, der jagende, spannungsgeladene Schnitt, die Überwindung der noch mangelhaften Technik, die Schönheit der Photographie, die eiskalt blitzende Leidenschaft, die keines frivolen Stachels und keiner pöbelhaften Enthüllung bedurfte.

Nichts vermochte später uns, die arroganten Obermittelschüler, davon abzuhalten, Fritz Langs Tonfilme zu besuchen und uns (weniger) von der „Frau im Mond” und (sehr!) von den „Spionen” faszinieren zu lassen. Als Hochschüler beäugten wir schließlich interessiert, aber aus skeptischer Distanz „Das Testament des Dr. Mabuse”, kapitulierten jedoch ohne Vorbehalt und vollends vor dem Meisterwerk „M”, einem Film, dessen Vorführung das Publikum taumelnd und wortlos verließ. Mit „M” eroberte der noch jugendliche Gustav Gründgens die Leinwand, erhielt der Wiener Peter Lorre jene Traumrolle, die ihm nie wieder zuteil werden sollte, denn- Hollywood, außerstande, mit eruptiven Talenten aus Europa irgend etwas anzufangen, erniedrigte ihn nach seiner „rassischen” Emigration zum Edelkomparsen nach ödestem Gangsterschema. Auch Fritz Lang vermochte nichts mehr zu produzieren, was an seine in Berlin gedrehten Filme herangereicht hätte. Vor dem schaudererregenden Anerbieten des Doktor Goebbels, „arischer” Filmpapst des Dritten Reiches zu werden, war Fritz Lang, ohne auch nur eine Minute zu verlieren, nach Westen geflohen und dort blieb er einsam: ein altösterreichischer Kavalier zwischen Managern und Technokraten.

Das Zweite Programm des österreichischen Fernsehens holte sie hervor und brachte sie uns wieder aus dem Abgrund der Jahre, das filmische Meisterwerk „M” und seinen Schöpfer Fritz Lang — Monokel im Auge und Schönbrunnerdeutsch sprechend, als wäre nichts geschehen.

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