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Reprise der deutschen Tragödie?

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Dies 1st die seltsame Geschichte eines Romans, eines Films und eines deutschen Schicksals.

Vier Jahre, nachdem Thomas Manns un- ruhevoll zwischen Künstlerschaft und Bürgertum schwankende Seele in den .Buddenbrooks (1901) dem Patriziertum seiner Vaterstadt Lübeck das populärste Denkmal des deutschen Schrifttums errichtet hat — 13 Jahre später wird derselbe .Mann seinem Tonio Kröger verächtlich entgegenschmettem: .Tonio, du bist ein Bürgerl —, führt sein Bruder Heinrich in dem Roman „Professor Unrat einen scharfen Streich gegen das Zentrum der bürgerlichen Sicherung. Der Streich sitzt vorerst. Er schwächt sich ein paar Jahre später in der „Kleinen Stadt in Nadelstiche ab, um dann in der Hohenzollem-Trilogie (1918 bis 1925) mit tödlicher Wucht zu fallen — nach und vor .dem Fest zugleich; denn Hannibal, der die letzten bürgerlichen Reste des ersten Weltkrieges verzehren wird, steht schon vor den Toren.

Und wieder ein paar Jahre später. Ein deutscher Filmregisseur, Josef von Sternberg, sucht für den Amerikaheimkehrer Jannings, der eben mit vier Stummfilmen beträchtliches Aufsehen in der Welt erregt hat, eine stoffliche und Chargenfolie für dessen deutsche come-back. Er stößt dabei unter Mithilfe Zuckmayers auf den Roman .Professor Unrat, auf einen nicht sehr beikannten Hans Albere und eine völlig unbekannte Elevin, deutsche Offizierstochter noch dazu, Marlene Dietrich oder ähnlich. Er beginnt mit den Arbeiten an dem Film „Der blaue Engel. Er weiß noch nicht, daß er mit diesem Film den Ruhm des Hauptdarstellers auf den Gipfel führen wird, daß er den zwei genannten Chargen das Sprungbrett zum Weltstar legt, daß er mit den schlanken Beinen und den frech- müden, schlampigen Songs Marlene Dietrichs die Träume des deutschen Kinospießers 20 Jahre lang beunruhigen wird, ja, er weiß noch weniger, daß er mit diesem Film einen vielleicht noch wuchtigeren Streich gegen den preußischen Bildungsbürger führt als Heinrich Mann selber. Das ist 1929/30. Schon drei Jahre später wird Professor Immanuel Rath, jetzt nicht mehr Unrat, sondern Ratlos, zwar nicht mehr als Kettenhund einer Tingeltangelsängerin, als Clown und Handlanger eines Zauberers 6ein schauerliches „Kikeriki krähend, aber dafür an der Kette einer neuen Macht stramm am Katheder stehen und die rechte Hand schräg zum Gruß erheben: Ave, Caesar, morituri te salutant. Und die Ufa des „Blauen Engels, die Hugenberg-Ufa, wird ein paar Jahre später schon „Morgenrot drehen und dem großen Friederich zuflöten und schließlich, 1941, eine Art Dachorganisation für das gesamte neu- und treudeutsche Filmwesen sein …

Doch in der Heimat, in der Heimat, da gibt’s ein Wieder-wieder-Wiedersehn. Man führt jetzt den 22 Jahre alten .Blauen Engel wieder auf. Ein unheimliches Wiedersehen. Gewiß, Jannings dämonisches Maskenspiel und Sternbergs bezwingende Bildersprache (Marlene darf heute füglich übergangen werden, denn die deutsche Kinoerotik ist inzwischen mit wehenden Fahnen ins Lager der sündhaften Hildegard hinübergewechselt) 'rücken Heinrich Manns bissigen nationalen Sarkasmus weitgehend in individuelle menschliche Tragik ab. Und doch, wozu das alles heute? Zweimal kündete der .Blaue Engel, ein Todesbote wie die Raben vom Kyiffhäuser, deutsches Unheil. Die Zeit ist ernst genug, um nicht unnotwendig, bloß um der höchstmöglichen Versilberung eines Celluloidstreifens willen, alte Schatten zu beschwören. Wir brauchen, wir wünschen keine Reprise, keine Neueinstudierung der deutschen Tragödie.

„14 Stunden lang auf einem ausgesetzten Wolkenkratzergesimse stehend, hin- und her- gezogen zwischen dem Willen, den grausigen Sprung zu tun, und dem letzten hauchdünnen Fädchen, das den Menschen noch ans Leben kettet, verwirrt von Elternhaus, Beruf und Zeitangst, bedroht von berufsmäßigen Helfern und den Geiern der Publicity — wahrhaftig, ein Königsgedanke! Und die Story des amerikanischen Films ,14 Stunden barg tatsächlich die Möglichkeit, der Film des modernen Gehetzten, des Seelenwracks unserer Tage zu werden. Es wurde aber, trotz des Regisseurs Henry Hathaway, nur ein erregender, psychoanalytischer Thriller. Und, wo der Film die Sonde am tiefsten hätte senken sollen, 6etzt er einen komischen Gag: ein lächerlicher Sektierer ruft im ungeschicktesten Augenblick den Schwankenden auf die Knie, Buße zu tun und zu beten…

Frühlingsstimmen — ein österrieichischer Farbfilm nach dem erstaunlich guten belgischen Gewacolorverfahren, mit ambitionierter Musik und Darstellern von Rang aus Burgtheater und Jo6ef6tadt. Als effektvolles Werbeplakat für die sympathischen Wiener Sängerknaben durchaus zu begrüßen. Wer ihn aber als vollzunehmenden österreichischein Spielfilm zu präsentieren wagte, würde eine ernsthafte Kritik an Fabel, Stil und Geist herausfordern.

Weniger glücklich in der Kolorierung (Agfacolor, westdeutsch) und im Libretto auch nicht eben von Einfall sprühend, dafür aber in allen Sätteln musikalischer Routine präsentiert sich die österreichische Revue- Operette „Tanz ins Glück. Sie erobert dem Film die Landschaft Vorarlbergs, und es ist eine glückliche, verheißungsvolle Eroberung.

Filmschas (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich) Nr. 9/II vom 27. Februar 1952: II (für alle zulässig): „Frühlingsstimmen. III (für Erwachsene und reifere Jugend): .Tomahawk, „Todfeindschaft. IV (für Erwachsene): .14 Stunden“, „Wenn die Abendglocken läuten. IVa (für Erwachsene mit Vorbehalt): „Der blaue Engel,„Nacht ohne Sterne, „Scotland Yard. IVb (für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): .Die Taverne zum Fischkönig.

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