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Oper für Olympia

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Das Kunstprogramm zu den Olympischen Spielen machte es möglich, daß am Abend des 15. August 1972 das Augsburger Stadttheater in Konkurrenz zur Bayrischen Staatsoper München trat. Am Dirigentenpult erschien — herzlich begrüßt — Rafael Kubelik, um die Welturaufführung seiner Oper „Cornelia Faroli“ selbst zu dirigieren. Regie führte Wilm ten Haaf, für die Ausstattung sorgte Hans Ulrich Schmückle, die Kostüme entwarf Sylta Busse, die Chöre hatte Hansthomas Nowo-wiejski einstudiert.

Im Hinblick auf den Namen Rafael Kubelik, der als Dirigent führenden Ruf im internationalen Musikleben genießt, muß zunächst einmal erwähnt werden, daß es sich bei den eigenen Schöpfungen dieses universellen Musikers keinesfalls um sogenannte „Kapellmeister-Musik“ handelt. Komponieren und interpretieren waren bei Kubelik von Anfang an gleichwertige Funktionen, und es ist nicht von ungefähr, daß Kubelik bei seiner Abschlußprüfung am Prager Konservatorium nicht nur als Geiger ein Paganini-Konzert spielte und als Dirigent eine Dvofäk-Sym-phonie dirigierte, sondern als Komponist eigens zu diesem Zweck eine Phantasie für Violine und Orchester geschrieben hatte. „Cornelia Faroli“ ist auch nicht etwa ein Bühneners';-ling, sondern folgt den Opern „Veronika“, „Des Kaisers neue Kleider“, „Die Blumen der kleinen Ida“ und „Tagesanbruch“. In seiner „Cornelia“ zielt Kubelik auf die Problematik zwischen menschlichem und künstlerischem Gewissen: Die Handlung spielt in der Zeit der ^Renaissance. Der Maler Tizian sucht ein Modell und findet es in Gestalt der schönen Cornelia Faroli, die er vor der Hexenverbrennung rettet, indem er vorgibc. sie heiraten zu wollen. Als sie erfährt, daß Tizian bereits verheiratet ist, flieht sie und wird hingerichtet.

Der Librettist Dalibor Faltis hat die Handlung dramaturgisch ganz konsequent auf das Dreiecksverhältnis: Aretino — Cornelia — Tizian angelegt. Aretino, Renaissance-Pamphletist, gefürchtet und von den Frauen Venedigs umschwärmt, stellt Cornelia nach, und er ist es auch, der Tizian Vorhaltungen macht, er benütze Cornelia nur so lange, als sie seiner Kunst dient. Da liegt der tiefere Sinn dieser Thematik: Kann ein Mensch soweit gehen, eventuell auch andere für seine Kunst zu opfern? Diese Kernfrage löst das Werk Ku-beliks aus dem historischen Rahmen heraus und gibt ihm etwas Allgemeingültiges und Grundsätzliches. Hier hätte Regisseur Wilm ten Haaf ansetzen müssen, aber dazu kam er erst gar nicht, denn er konnte nicht einmal den Kurtisanen etwas Bühnenleben abgewinnen, wußte kaum, wie sich ein Maler vor seiner Staffelei benimmt, und ließ Tizian während des Hexenprozesses so lange im Dunkel stehen, daß man Angst hatte, er könnte sich verspäten und dadurch den vorgesehenen Ablauf der Vorstellung ernstlich gefährden.

Zusätzlich schien sich auch der Bühnenbildner alle erdenkliche Mühe zu geben, durch rechteckige, nüchterne Säulen die Atmosphäre im Keim zu ersticken und die gemalten Renaissanceprospekte wirkten wie schlecht belichtete Farbdias.

Der Komponist Rafael Kubelik — der als Dirigent in diesem Fall tatsächlich für eine authentische Interpretation sorgte und das Augsburger Opernorchester dank seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit zu einer faszinierenden Leistung beflügelte — erfaßte den Stoff mit den Mitteln der musikalischen Sprache unseres Jahrhunderts. Kubelik sucht nicht nach bahnbrechenden avantgardistischen Modernismen, er bewegt sich ungebunden zwischen Tonalität und Ato-nalität, zwischen spätromantischer Chromatik und den Zwölftönern, bleibt aber in sich geschlossen und gelangt zu großartigen Stilisierungen, etwa durch die Verwendung von Cembalo, Harfe, Flöte und Trompeten, eine Instrumentierung, die wie gleißendes Licht auf die Renaissanceszenerie fällt, und immer wieder wird der Bekenntnismusiker spürbar und verlangt uns Bewunderung ab.

Von den Ausführenden hatte Richard Holm einen so evidenten darstellerischen Vorsprung, daß es schwerfällt, seinen Kollegen gerecht zu werden. Holm charakterisierte den Aretino in bestechender Weise, während Grit van Juten, neben einem gutgeführten Sopran, nur ihr vortreffliches Aussehen über die Rampe brachte. Hans Günter Nöcker war kein glaubhafter Tizian, ihm fehlte die Ausstrahlung des Genies, die Persönlichkeit, die doch zur Zentrifugalkraft der Aufführung werden sollte. Trotz langanhaltender Ovationen hatte man doch den Eindruck, daß diese Kubelik-Oper eine interessantere Wiedergabe im Szenischen verdient hätte.

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