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Digital In Arbeit

Reformer waren Vorreiter der Sexvermarktung

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Ernest Borneman macht sich die Sache etwas zu leicht. Für ihn ist die Wurzel allen Übels, also auch der Sexualanarchie, einfach die Marktwirtschaft, genauer gesagt, der dadurch verursachte Leistungsdruck und Konkurrenzkampf. Aber kein Gesellschaftssystem, auch kein sozialistisches, kann auf Leistung und Wettbewerb verzichten. Siehe Stachanowmethode, Dekorationen („Helden der Arbeit"), Hochleistungssport, usw.

Wenn nun die Sexualmoral in den Volksrepubliken so viel besser ist, wie Borneman hervorhebt, muß das andere Gründe haben. In den sozialistischen Ländern wird, analog der staatlichen Regelung sämtlicher Lebensbereiche, auch die Sexualsphäre durch dekretorische Einflußnahme auf Erziehung, gesellschaftliches Verhalten und Kultur derart eingeengt, daß ein destruktives Ausufern der Sexualität gar nicht aufkommen kann. Ein solches, aus bevölkerungspolitischen und militärischen Erwägungen erzwungenes Sexualverhalten gemahnt eher an Dressur denn an Moral.

Was die „sexuelle Zerrüttung im bürgerlichen Westen" betrifft, scheint Borneman meine

Ausführungen als eine ausschließlich gegen die Sexualreformer gerichtete Anklage aufzufassen, obwohl diese mit keinem Wort erwähnt werden. Aber wenn er das hören will, kann es nachgeholt werden. Denn so unschuldig, wie er sich vorkommt, sind er und seinesgleichen auch wieder nicht. Sind es doch gerade sogenannte Sexualreformer, die, bewußt oder unbewußt, gewissenlosen Managern den Stoff für die Vermarktung der Sexualität liefern.

Es ist ein weiter Bogen, der sich von Wilhelm Reich über Herbert Marcuse, Hans Giese und darüber hinaus spannt—um nur diese Prototypen zu nennen, ausgefüllt mit einer ganzen Literatur, worin die Unterdrük-kung der Sexualität durch „autoritäre" Gesellschaftsformen wie Ehe und Familie verurteilt und die freie sexuelle Betätigung zwischen und mit Kindern, von Jugendlichen selbstverständlich, die Aufhebung des Inzestverbotes und der Pornographiebestimmungen usw. gefordert werden.

Die Aufzählung sexualrefor-merischer Autoren mit den sonderbarsten Zielvorstellungen würde Seiten füllen. Das soll keine Exkulpierung der Geschäftemacher sein, aber auch hier gilt: der Hehler ist so schlecht wie der Stehler.

Zwischen Sexualreform und sexueller Vermarktung bestehen heutigentags keineswegs diametrale Gegensätze, sondern vielfache Kausalzusammenhänge.

Zweifellos trägt auch die materialistische Grundhaltung ein hohes Maß an Schuld an der Anfälligkeit des Westens für Genuß und Konsum, doch geht es nicht an, daß man wesentliche Fakten in Abrede stellt und im übrigen das Problem auf eine einseitig linksideologische Ebene abzuschieben sucht.

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