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„Schüsse“ ohne Hintergründe

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Wiens Heimstätte neuer Kunst, das Museum des 20. Jahrhunderts, hat sich in einen Jahrmarkt verwandelt: In einen Jahrmarkt der Photographie, in-dem 339 Schwarzweiß- und 95 Farbkopien, auf Posterformat gebracht, den Betrachter über dieses reich verästelte Gebiet informieren wollen. Aber informieren ist vielleicht schon zu viel gesagt: Was heißt hier überhaupt „Weltausstellung der Photographie“? Doch nicht viel anderes, als daß aus jedem I^and ein paar Bilder zu einem bestimmten Thema vorhanden sind, zum Beispiel zum Problem „Flucht“, zum Thema „Gehäuse der Tradition“, über „Aggression“, „Rassenkampf“, „Katastrophen“, „Vermassung“, „Umweltzerstörung“, „Tod“ usw. Ein buntes Sammelsurium also, dem im speziellen Fall von Karl Pawek (in Zusammenarbeit mit dem Magazin „Stern“ und 367 Museen in 51 Ländern) eine Gruppierung gegeben wurde, die außer dem schönen Titel „Unterwegs zum Paradies“ auch nicht viel anderes beschert als alle mehr oder minder interessanten internationalen Photoausstellungen, gleichgültig ob sie nun mit literarischen Leitlinien in eine bestimmte Fasson gebracht wurden, oder nicht.

Präzisieren wir's: es handelt sich hier um Reportagephotographien, genauer: um die Illustrationen internationaler Starphotographen für Artikel. Was sie auf Reisen für große Magazine, Zeitungen, Werbegesellschaften usw. vor ihre Objektive bekommen haben. Viel Exotisches, viel Außen- und Abseitiges, vieles, das durch die Sensation des Dargestellten, durch Schockierendes, Erschütterndes, Aufreizendes, staunen läßt. Abgeschlagene Köpfe von „Feinden der Republik Jemen“ zum Beispiel, eine verweste Hand, die in einem Stacheldraht hängengeblieben ist, von Giftpfeilen zu Tode Getroffene im afrikanischen Busch, weiße Touristen, die auf ihren Touristtours nackte schwärze Mädchen bestaunen, Massenaufmärsche in China und hysterische Showtänze beim Karneval in Rio... und immer wieder Reports des Elends, das in dieser Welt, in der „Family of Men“ nicht ausrottbar ist. Schnappschüsse aus der Welt der Ersatzparadiese, hinter denen Angst, Bedrohung Tod, Versklavung, Neurosen, Flucht in Drogen und so viele andere Aspekte stehen. Aber sind diese Photos, für sich isoliert betrachtet und damit zu artistischen Beispielen für einen „sicheren“ Blick eines Photographen degradiert, überhaupt noch sinnvoll? Sind sie nicht Beispiel einer leeren Effekthascherei, eines plumpen Voyeurismus? Denn die meisten von ihnen gehörten sicher zu gründlich recherchierten Berichten, für die sie wohl „geschossen“ wurden. Hier werden sie aus dem Zusammenhang gerissen ... Oder die pikant-exzentrischen Photos eines Güles Sarrain, aus „Idol“-Doku-mentationen und Transvestiten-Se-rien entnommen: Werden sie nicht hier zum vulgären Gag, hinter dem kein künstlerisches Anliegen, kein geistiger Zusammenhang spürbar ist?

Oberflächlichkeit, raffiniert getarnt, ist hier Trumpf. Und für eine „Weltausstellung“, als die diese Schau präsentiert wird, reicht's wirklich nicht. Trotz großer Ambitionen, trotz vieler eindrucksvoller Bilder. Denn zu einer Weltausstellung der Photographie gehörte sehr viel mehr, von dem hier fast bei keinem Bild die Rede ist: Von künstlerischer Photographie aller Spielarten, oft weit abseits von der Reportage, von Photoexperimenten und künstlerischen Visionen, auch von »1er Kunst der Porträt- und der Theaterphoto-graphie, von Weltanschauungen, die sich in Photos ausdrücken können usw... Doch davon ist eigentlich keine Spur zu entdecken. Und so kommt uns diese Pseudo-„Weltaus-stellung“ im Vergleich zu einer wirklichen „Weltausstellung der Photographie“ vor, als wollte man bei der Bewertung eine gut recherchierte journalistische Arbeit mit einem dichterischen Kunstwerk, von Joyce etwa, in einen Topf werfen.

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