6720695-1965_11_10.jpg
Digital In Arbeit

Wer kennt die Sorben?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Sorben sind ein westslawisches Volk, das aus den Nachkommen slawischer Stämme besteht, die im 6. Jahrhundert in das Gebiet zwischen Saale und Bober eindrangen und auch Niedersachsen (Lüneburg) erreichten. Karl der Große errichtete gegen sie 806 die Sorbische Mark, um 900 wurde ihre Macht durch Herzog Otto von Sachsen gebrochen. In der deutschen Literatur und Politik wurden sie vielfach als Wenden bezeichnet, ein Ausdruck, der oft für alle Slawen schlechthin gebraucht wurde und auch für die Slowenen an Save und Drau schlechthin üblich war („Windische“). Sie aber deshalb mit den Slowenen oder der politischen Minderheit der (einen Teil des slowenischen Sprachvolkes bildenden) sogenannten Kärntner Windischen von heute gleichzusetzen, wie dies der österreichische Sprecher im slowenischen Beschwerdefall Isop bei der Menschenrechtskommission in Straßburg getan hat („Vendish Mino-rity“ =“,£orbian Minority“), wäre völlig abwegig. Die Kärntner Slowenen und die Slowenen überhaupt haben sich selbst niemals „Sorbi“ oder „Srbi“ genannt, sondern „Slo-venci“ oder „Slovenski“, während sich die Sorben eben seit dem frühesten Mittelalter „Srbi“ (lateinische Benennung „Sorabi“) nannten. Ebensowenig wie die Slowenen haben sie sich selbst jemals Wenden oder Winden (Windische) genannt oder auch nur ein derartiges Wort herausgebildet. Ihrer Sprache nach gehören sie, auf zwei Hauptmundarten verteilt, zum westlichsten Zweig der slawischen Sprachen, welcher dem Tschechischen am nächsten verwandt und daher vom Slowenischen völlig verschieden ist.

Den Sorben, wie sie heute in der DDR, also in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ), auch deutscherseits amtlich genannt werden, ist die Bildung eines eigenen Nationalstaates nie beschieden gewesen. Es gab und gibt daher auch keine sorbische Nation, wohl aber sind die Sorben ein Volk im ethnischen Sinne und, da sie in einem andersethnischen Staat leben und hier eine sehr ausgeprägte sprachpolitische und kulturelle Zielsetzungsgemeinschaft bilden, eine Volksgruppe. Sie versuchten in jüngerer Zeit allerdings mehrfach, einen eigenen Staat zu bilden. Der erste dieser Versuche wurde 1918/19 unternommen (Resolution vom 20. November 1918, Beschluß des Crostwitzer Nationalausschusses vom 25. Jänner 1919) und fanden die Unterstützung von Th. G. Masaryk. Diese Versuche scheiterten nicht zuletzt deshalb, weil die Sorben auf die Gebiete mehrerer deutscher Bundesstaaten, nämlich Preußen und Sachsen, verteilt gewesen waren und verschieden starke eigenständige Entwicklung genommen hatten. Die 1847 gegründete zentrale Organisation „Macica Serbska“ (Sorbisches Mütterchen) konnte sich eigentlich nur in Sachsen entfalten, wo die Gründung des „Sorbenhauses“ in Bautzen 1897 zugleich eine wichtige Abwehr gegen die mit der Industrialisierung einhergehende Germanisierung darstellte und schließlich in die Gründung der heute noch bestehenden Volksgruppenorganisation „Domowina“ (Heimat) 1912 ausmündete. In den preußischen Provinzen Brandenburg und Schlesien waren die Sorben weitgehend benachteiligt und schon frühzeitig der Germanisierung unterworfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung