Niki Scherak (Neos): „Abgeordnete auf die Hinterbeine!“
Corona ist auch ein Stresstest für den Parlamentarismus. Die Opposition beklagt, dass das Parlament im Gesetzgebungsprozess zur Eindämmung und Bekämpfung der Pandemie zu wenig ernst genommen und zur „verlängerten Werkbank der Regierung“ abgewertet wird.
Corona ist auch ein Stresstest für den Parlamentarismus. Die Opposition beklagt, dass das Parlament im Gesetzgebungsprozess zur Eindämmung und Bekämpfung der Pandemie zu wenig ernst genommen und zur „verlängerten Werkbank der Regierung“ abgewertet wird.
Für eine Stärkung des Parlaments sieht der stellvertretende Klubobmann der Neos, Niki Scherak, in erster Linie die Abgeordneten selbst gefordert. Dazu brauche es aber auch mehr Ressourcen und Änderungen im Wahlrecht.
DIE FURCHE: Herr Abgeordneter, hat das österreichische Parlament in der gegenwärtigen Coronakrise den Stellenwert, der ihm zukommt?
Niki Scherak: Eindeutig nein. Es war ja nachvollziehbar, dass am Anfang der Coronakrise schnell gehandelt werden musste. Aber die Bundesregierung hat aus den dabei passierten Fehlern nichts gelernt. Jetzt, wo wieder umfassende Änderungen passieren, versucht die Regierung wieder im Schnellverfahren und ohne ausreichende Begutachtung die Gesetze durchs Parlament zu bringen.
DIE FURCHE: Oppositionsklagen über kurze Begutachtungsverfahren gab es bereits vor Covid-19.
Scherak: Es war immer schon so, dass das österreichische Parlament nicht die ihm zustehende Bedeutung hatte. Das ist während der vorigen VP-FP-Koalition noch schlechter geworden und hat grundsätzlich etwas mit der Geringschätzung der türkisen ÖVP dem Parlament gegenüber zu tun.
DIE FURCHE: Die vom jetzigen Koalitionspartner Grüne nicht gebändigt wird?
Scherak: Die Grünen, die immer für einen lebendigen Parlamentarismus eingetreten sind, zeigen in der Sekunde, in der es um die Macht geht, wie schnell man Grundsätze über Bord werfen kann.
DIE FURCHE: Gehört es zum Regierungseintritt dazu, das Parlament dann an den Rand zu drängen?
Scherak: Es gibt in Österreich politische Parteien, denen das Parlament grundsätzlich nicht so wichtig ist. Die Grünen gehören nicht dazu, das ist ja mein Vorwurf. Wenn man sich jahrzehntelang hinstellt und fordert: Man muss das Parlament ernst nehmen, man braucht eine ordentliche Begutachtung, man muss mit den Abgeordneten diskutieren – dann muss man sich als Regierungspartei daran halten.
DIE FURCHE: Die Neos wären davor gefeit, würden auch als Regierungspartei den Parlamentarismus hochhalten?
Scherak: Ich bin überzeugt, dass wir das anders machen würden. Sollten wir Verantwortung übernehmen, würde ich zu 100 Prozent darauf schauen, dass die parlamentarischen Verfahren eingehalten werden und das Parlament Gesetzgeber und nicht die verlängerte Werkbank der Bundesregierung ist.
DIE FURCHE: Wie hat ORF-Moderator Robert Hochner gesagt: „Die Rache der Journalisten an den Politikern ist das Archiv“ – ich werde Sie gegebenenfalls an dieses Interview erinnern.
Scherak: Wenn ich das nicht einhalte, würde ich mich sehr freuen, wenn mich meine Wähler mit einem nassen Fetzen davonjagen. Die Grundidee meines politischen Strebens ist, dass das Parlament ernst genommen wird, wenn ich da auch einknicke, braucht es mich nicht wirklich.
DIE FURCHE: Was bräuchte es generell für einstarkes Parlament?
Scherak: Man kann beim Wahlrecht etwas tun, damit die Abgeordneten mehr ihren Wäh-lern verpflichtet sind. Wenn sie – so wie jetzt – nur über Parteilisten ins Parlament einziehen, können die Parteien viel leichter Druck ausüben. Aber in allererster Linie sind die Abgeordneten selbst dafür verantwortlich, dass sie sich auf die Hinterbeine stellen und nicht mehr über sich drüberfahren lassen.
DIE FURCHE: Für solches Selbstbewusstsein braucht es neben Mut auch Expertise – ist die vorhanden?
Scherak: Leider nein. Als Abgeordnete im österreichischen Parlament haben wir nicht die Möglichkeiten und Ressourcen, um uns selbst entsprechend vorzubereiten. Im Unterschied zum Deutschen Bundestag oder dem Europäischen Parlament, wo den Abgeordneten umfassende Mitarbeiter-Ressourcen zur Verfügung stehen, dass der oder die sich auch selbstständig mit der Materie auseinandersetzen kann.
DIE FURCHE: Das heißt konkret?
Scherak: Wir bräuchten mehr Mitarbeiter für die Abgeordneten. Für ein unabhängiges und selbstbewusstes Parlament bräuchten wir zudem einen Legislativ-Dienst und einen wissenschaftlichen Dienst. Momentan liegt die Expertise in den Ministerien, und natürlich kriegen wir von dort nur das, was sie bereit sind, an uns weiterzugeben.