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Werden Neger ausgehungert?

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Der Staat Mississippi, der rückst ändigste und ärmste aller Bundesstaaten der USA, wird beschuldigt, seine Farbigen mit der Hungerpeitsche auszutreibein. Diese kosten der öffentlichen Fürsorge zuviel, weil sie infolge der zunehmenden Automatisierung der großen Farmen und ihrer Unfähigkeit, zu Facharbeitern zu werden, unterstützt werden müssen. Auch ist es den Weißen begreiflicherweise recht, wenn der farbige Bevölkerungsdruck nachläßt.

Es wird Mississippi vorgeworfen, daß es zwei Mittel anwendet, um die Farbigen zum Abzug zu bewegen. Einmal, indem es an die farbigen Wohlfahrtsempfänger strengere Maßstäbe anlegt als an weiße. Zum andemmal durch Manipulierung der sogenannten „food stamps“, das sind Lebensmittelmarken, die die Bundesregierung an Wohilfahrtsempfänger ausgibt. Sie berechtigen zum Bezug der wichtigsten Nahrungsmittel zu sehr verbilligten Preisen. Jetzt ist die Bundesregierung dazu übergegangen, besonders Bedürftigen das Geld für den Ankauf der Marken zu leihen;, wobei sie bei der Rückzahlung sehr nachsichtig ist. Es wird den Bedürftigen, je nach ihrer finanziellen Lage, ermöglicht, mit einem Dollar ihres eigenen Geldes Lebensmittel im Werte von drei bis sechs Dollar einzukaufen. Und damit stimmt es nun nicht in Mississippi.

Unvorstellbares Elend

Die öffentliche Meinung horchte auf, als eine Gruppe von Ärzten die am meisten betroffenen Gebiete bereiste und einen Bericht erstattet hatte. Sie hätten, erklärten die Ärzte, vor ihrer Reise die Meldungen über die Notlage der Armen für übertrieben gehalten, jetzt aber seien sie zu der Ansicht gekommen: „In sechs Landbezirken von Mississippi sind die Zustände ebenso schlimm wie im nördlichen Teil von Kenya.“

Ein Reporter der Nachrichtenagentur United Press folgte den Spuren der Arzte und berichtete über Fälle, wie man sie im reichsten Land der Welt “nicht vermutet hätte:

Zwei Schwestern, beide von ihren Männern verlassen, wie es sich bei Negern oft ereignet, leben mit ihren zusammen 13 Kindern in einem Haus von drei Zimmern. Eine Schwester arbeitet mit zwei ihrer Nichten in einem Baumwollfeld. Zusammen verdienten sie in einer Woche 17,50 Dollar. Dies war gleichzeitig das Gesamteinkommen der Familie. Die Frau hätte Lebensmittelmarken im Wert von 60 Dollar für 10 Dollar erwerben können, wenn sie die 10 Dollar gehabt hätte. Ihre Schwester, die arbeitsunfähig ist, könnte sogar mit 12 Dollar Marken im Wert von 90 Dollar erwerben. Sie hofft, daß es nicht mehr lange dauern wird, bis die Wohlfahrt sich ihrer annimmt.

Eine andere Familie, bestehend aus einem alten Vater, dessen'Sohn und Tochter, beide mit Familie, zusammen ebenfalls 15 Menschen, teilt auch drei Zimmer. Der Sohn erhält von der Wohlfahrt 50 Dollar im Monat. Davon gehen 21 Dollar für Miete ab. Die ganze Familie erhält Lebensmittel im Wert von 132 Dollar für 54 Dollar. Sie bringt diese Summe mit Ach und Krach dadurch auf, daß der Sohn, ein arbeitsloser Pfarrer, jeden Sonntag zwei bis fünf Dollar für Aushilfe in Pfarreien erhält.

Bei allen diesen Familien sind Bohnen die Hauptnahrung. Damit sie weich genug werden, um eßbar zu sein, müssen sie den ganzen Tag gekocht werden, nachdem sie vorher die ganze Nacht eingeweicht wurden. Eine Fürsorgeempfängerin meinte: „Bohnen sind zum Frühstück zu schwer. Deswegen bat sich die Gesundheit mehrerer Kinder so verschlechtert.“

Viele Frauen behaupten, sie könnten ihre Kinder, selbst im Fall emster Erkrankung, nicht zum Arzt bringen, weil die Ärzte die Rechnungen nicht stundeten. Frauen beklagten sich, die Unterstützung sei gekürzt worden, weil sie ihre Kinder in einer weißen Schule eingetragen hätten, oder dem Ehemann sei die Unterstützung beschnitten worden, weil die | Frau für das bundesstaat-liche Programm zur Bekämpfung der Armut tätig war.

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