Die Freuden des Trivialen

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Ein Kirchenthriler von Arturo Perez-Reverte und ein Talleyrand-Melodram von Andrew Johnston.

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Ein Kirchenthriler von Arturo Perez-Reverte und ein Talleyrand-Melodram von Andrew Johnston.

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Wir blicken zwar als kultivierte Zeitgenossen auf den Trivialroman herab - aber lesen tun ihn die meisten doch. Und oft genug mit Vergnügen. Zwei Bücher dieses Genres, die dem Rezensenten in letzter Zeit untergekommen sind, scheinen ihm einer Besprechung wert. Ein Kirchenkrimi und ein historischer Roman. Beide sind keine Dichtungen, sondern Schreibhandwerk für den Markt.

Der Roman des in Berlin lebenden Historikers und Anglisten Andrew Johnston heißt "Talleyrand oder die feine Kunst der Intrige". Er ist, obwohl Erstling des Autors, bereits routiniert geschrieben und, ganz ohne Ironie gesagt, das, was man belehrend nennt. Ein sich entlang den historischen Tatsachen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt vorarbeitendes Buch mit einem weiten Schlenker ins Reich des Fiktiven, den sich der Autor hätte sparen können, weil er nicht so viel Spannungsgewinn bringt wie Verwirrung über historische Tatsachen. Oder ist die Geschichte mit dem Geheimdokument über einen Fehltritt im Königshaus, das geeignet wäre, diesem - lang vor der Revolution - die Legitimität zu entziehen, nur ein Trick, um den Leser zu eigenen Nachforschungen in der Literatur zu veranlassen?

Das Buch ist voll jener flüssigen Dialoge, die als Voraussetzung glatter Lesbarkeit gelten und ganz oben auf dem Steckbrief des Trivialromans stehen. Johnston versucht etwas melodramatisch, eine der schillerndsten Gestalten der französischen Geschichte, einen ihrer größten Stehaufmänner, verstehbar zu machen. Und zwar verstehbar als einen Politiker, dem es tatsächlich nicht nur um sich selber geht, sondern kontinuierlich um ein Ziel: Frankreichs Größe. Das gelingt ganz gut, und auch über Napoleon, Fouche und ihre Zeit erfährt man eine Menge, was zum größten Teil sogar stimmt. Selbstverständlich läßt sich Johnston auch jene Szene nicht entgehen, der in einer Weltgeschichte der Beschimpfungen und Beleidigungen - ein reizvolles Unterfangen, warum schreibt das nicht endlich einer! - ein absoluter Ehrenplatz sicher wäre. Die Szene, in der Napoleon - und das ist keine Erfindung des Autors, sondern historisch - wütend ins Gesicht schreit: "Sie sind nichts als Scheiße in einem Seidenstrumpf!" Eine Beschimpfung, die, wie so viele, über den Schimpfer mehr verrät als über den Beschimpften.

Der Pfarrer kommt heute gern in einem neuen Gewand daher, ganz zivil, ohne Soutane: Schaut's her, ich bin doch ganz so wie ihr! Ähnliches tut der Pfarrer-Roman, der sich heute mit Vorliebe als Krimi kostümiert: Schaut's her, ich bin doch ein spannendes Buch wie jedes andere! Was beider Akzeptanz nützt. Das Genre erfreut sich jedenfalls zunehmender Beliebtheit, und Freiraum für Erfindungen bietet die Kirche ja genug.

Ein gutes Beispiel ist "Jagd auf Matutin" vom spanischen Spannungsmeister Arturo Perez-Reverte. Er schreibt zwar nicht so gut wie Donna Leon und braucht folgerichtig mehr Seiten, versucht aber in der "Jagd auf Matutin", ähnlich wie Donna Leon in jedem Buch, in die Überschneidungszonen zwischen den legalen, den halb- und den illegalen Geschäften einer Oberschicht hineinzuleuchten. Im konkreten Fall der alteingesessenen Vornehmen von Sevilla, wo eine alte Kirche den neuen Baulöwen im Wege steht. Daher soll sie zerstört werden, mit allen Mitteln. Ein unbekannter Hacker, dem dies mißfällt, schleust eine Botschaft in den Geheimcomputer Seiner Heiligkeit in Rom ein, worauf ein Geheimnisvoller im Vatikan einen noch geheimnisvolleren Agenten nach Sevilla entsendet. Der geweihte vatikanische Detektiv ist natürlich eine köstliche Krimi-Idee, ob es sowas nun wirklich gibt oder nicht - wer würde die Behauptung wagen, es könne derlei nicht geben?

Der Roman stand monatelang auf den spanischen Bestsellerlisten ganz oben. Der 48jährige Perez-Reverte ist eine Art spanischer Frederick Forsyth, mit einem Studium der Politikwissenschaft und nach zwanzigjähriger Tätigkeit als Kriegsberichterstatter des spanischen Fernsehens ein Spannungsautor mit solidem Fundament.

Talleyrand oder Die feine Kunst der Intrige. Roman von Andrew Johnston. Europa Verlag, München 1999. 448 Seiten, geb., öS 291,-e 21,14 Jagd auf Matutin. Roman von Arturo Perez-Reverte. Übersetzung: Claudia Schmitt. Weitbrecht Verlag, Stuttgart 1998. 480 Seiten, geb., öS 336,- e 24,41

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