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Ringen um ein neues Weltverhältnis

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DER GÖTTLICHE BEREICH. Ein Entwurf des inneren Lebens. Von Pierre Teil-hard de Chardin. Deutsche Übertragung von Josef Vital Kopp, Walter-Verlag, Ölten, 1962. 207 Seiten. Preis 16.80 DM.

Die Veröffentlichung der Werke und Briefe des französischen Jesuiten und bedeutenden Anthropologen Teilhard de Chardin hat sehr entgegengesetzte Reaktionen ausgelöst. Die modernen Atheisten, sowohl östlicher wie westlicher Prägung, fühlen sich durch die Bewegung, die Teilhard ausgelöst hat, bedroht. Die Christen stehen teils in leidenschaftlicher Ablehnung, teils in enthusiastischer Zustimmung den Gedanken Teilhards gegenüber. Vor allem sind es die Naturwissenschaftler, die in Teilhard so etwas wie einen neuen Galilei oder Häckel sehen. Manche geben die sachliche Nüchternheit auf und glauben, daß durch die Denkweise Teilhards ein völlig neuer Weg beschritten sei, den die „starre Dogmatik“ der Kirche endgültig übernommen hat. Andere lehnen seinen Weltentwurf, den er hauptsächlich in dem Band „Der Mensch im Kosmos“ niedergelegt hat, als unwissenschaftlich ab.

In der Besprechung des vorliegenden Bandes haben wir uns nicht primär mit der wissenschaftlichen Problematik in Teilhards Werken zu befassen. Wir lernen ihn vielmehr von einer ganz anderen Seite kennen: als einen tief gläubigen, im Glauben mit der Welt von heute ringenden Christen, Priester und Gelehrten. Teilhard muß viel mehr als Mystiker denn als Philosoph oder Dogmatiker verstanden werden. In dem hier zu besprechenden Teil, den Teilhard selbst einen „Entwurf des inneren Lebens“ nennt, zeigt sich der Autor ganz als Priester, als innerlich frommer Christ, als Mystiker im weitesten Sinn des Wortes. Von der rein religiösen Gedankenwelt Teilhards her kann auch leichter verstanden werden, warum er in den wissenschaftlich interessierten Kreisen so verschiedene Beurteilung erfährt. Will man die Gedanken Teilhards streng wissenschaftlich interpretieren, dann muß man entweder Sprünge in seinem System feststellen, die dem Ganzen die Beweis- und Überzeugungskraft nehmen, oder man muß ihn im Sinn einer pantheistisch-determi-nistischen Evolution interpretieren, in der Natur und Übernatur, Göttliches und Menschliches völlig miteinander vermischt werden und der übernatürliche Charakter der Offenbarung gänzlich aufgelöst wird.

Die Betrachtungsweise Teilhards ist durch und durch religiös-gläubig. Sein Weltbild ist nur von einer tiefen Gläubigkeit her zu verstehen.

Was den „Entwurf eines inneren Lebens“, wie Teilhard seinen Aufriß einer christlichen Askese betitelt, charakterisiert, ist seine inbrünstige Hingabe an die Welt im umfassendsten Sinn. Er hat sich ein Leben lang mit der materiellen Welt, mit der kosmischen und biologischen Entwicklung befaßt. Diese Welt zu verstehen, ist nicht nur sein leidenschaftlich-wissenschaftliches, sondern auch sein religiöses Anliegen. In die religiöse Betrachtung bezieht er aber nicht nur die kosmisch-biologischen, sondern auch die technische und geistig-sittliche Entwicklung ein. Hier zeigt sich klar, daß der Begriff „Entwicklung nur mehr analog angewendet wird.

Teilhard hat so ein religiöses Weltbild und auch ein christliches Weltverhältnis geschaffen, das in gewissem Sinn ganz-heitlicher ist als das Weltbild und Weltverhältnis der herkömmlichen Askese. Teilhard will die Askese der Weltverachtung nicht aufheben, sondern einordnen. Er spricht eine andere Sprache, als wir gewohnt sind, er wählt einen anderen Ausgangspunkt der Betrachtung. Während die traditionelle Askese als Ausgangspunkt den sündigen Menschen nimmt und Christus als den Erlöser von der Sünde betrachtet, nimmt Teilhard als Ausgangspunkt den Schöpfungsauftrag Gottes, den vollen Einsatz des Menschen in der Weltgestaltung und sucht von da aus, das Problem des Übels und des Leidens zu erhellen. In der Vereinigung mit Christus sieht er die Vollendung der Welt.

Vielleicht fasziniert Teilhard auch durch seine schöne Sprache. Man darf manche Formulierungen natürlich nicht mit den strengen Maßen der Dogmatik messen. Sonst müßten sie als falsch oder wenigstens mißverständlich betrachtet werden. In das gesamte Denken Teilhards eingeordnet, kann man sie aber richtig ver-stehen. Schließlich wollte Teilhard auch nicht die kirchliche Dogmatik reformieren, sondern er rang zeitlebens um ein positives christliches Weltverhältnis zur Welt von heute. In diesem Ringen kommt er der Sehnsucht vieler Christen und einem wahren Anliegen entgegen.

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