6770737-1968_51_35.jpg
Digital In Arbeit

Wahrheit aus glühenden Augenblicken

19451960198020002020

TEILHARD DE CHARDIN ln Antwort und Kritik. Ein Querschnitt durch die wissenschaftliche Diskussion, ausffewählt und kommentiert von Jürgen Hübner. Furche- Verlag, Hamburg 1968, 98 Selten, DM 2.80. — PIERRE TEILHARD DE CHARDIN, Frühe Schriften, Karl-Alber-Verlag, Freiburg- München 1968, S 267. - DER GLAUBE DES TEILHARD DE CHARDIN. Von Henri de L u b a c. Verlag Herold, Wien-München 1968, 235 Seiten, S 168.—. DER MENSCH UND DIE EVOLUTION. Teilhard de Chardins philosophische Anthropologie. Von Alexander Gosztonyi. Verlag C. H. Beck, München 1968, 264 S., DM 12.80. — TEILHARD DE CHARDIN UND DIE EVANGELISCHE THEOLOGIE. Von Sigurd Martin D a e c k e. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Güttingen 1967, 425 S., DM 29.80.

19451960198020002020

TEILHARD DE CHARDIN ln Antwort und Kritik. Ein Querschnitt durch die wissenschaftliche Diskussion, ausffewählt und kommentiert von Jürgen Hübner. Furche- Verlag, Hamburg 1968, 98 Selten, DM 2.80. — PIERRE TEILHARD DE CHARDIN, Frühe Schriften, Karl-Alber-Verlag, Freiburg- München 1968, S 267. - DER GLAUBE DES TEILHARD DE CHARDIN. Von Henri de L u b a c. Verlag Herold, Wien-München 1968, 235 Seiten, S 168.—. DER MENSCH UND DIE EVOLUTION. Teilhard de Chardins philosophische Anthropologie. Von Alexander Gosztonyi. Verlag C. H. Beck, München 1968, 264 S., DM 12.80. — TEILHARD DE CHARDIN UND DIE EVANGELISCHE THEOLOGIE. Von Sigurd Martin D a e c k e. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Güttingen 1967, 425 S., DM 29.80.

Werbung
Werbung
Werbung

Teilhard vertrete einen absoluten Monismus, der so nur durch mangelhafte philosophische und theologische Kenntnis und dadurch bedingte Leichtferitgkeit möglich sei, er sei ein großer Geist, aber in dogmatischen Fragen ein falscher Geist — ein großer falscher Geist —, und deswegen ist er gefährlich. So lauteten die ersten römischen Urteile über Teilhard, die zum Verbot seiner Schriften führten. Beobachtet man heute, wie sich seine Schriften trotzdem durchgesetzt haben und auch von namhaften Theologen, trotz kritischer Durchleuchtung, befürwortet werden, fragt man sich zu Recht, welche Glaubwürdigkeit theologische Qualifikationen noch besitzen; heute eine bange Frage, nicht nur angesichts der Schriften Teilhards. Statt hektischer Ablehnung oder hektischer Begeisterung wäre also eine distanzierte kritische Besinnung vonnöten. Es hat nun den Anschein, daß diese Besinnung in die letzten Veröffentlichungen über Teilhard Einzug hält. Schon der kurz gefaßte Querschnitt durch die Diskussion „Teilhard in Antwort und Kritik“ macht diesen Eindruck. Die wchtig- sten Einwände wie auch positiven Stellungnahmen namhafter Wissenschaftler, Philosophen und Theologen, auch protestantischer, werden hier in ihrer Differenziertheit charakterisiert und in einem Schlußkapitel gegeneinander abgewogen. Am deutlichsten hat wohl Crespy das Problem Teilhard gefaßt, wenn er meint, daß die Zweideutigkeit des Teilhardschen Denkens daher rührt, daß Teilhard die Evolution vom Glauben her interpretiert und umgekehrt den Glauben von der Evolution her. Hier liegt sozusagen eine „Quadratur des Kreises“ für den Wissenschaftler wie für den Glaubenden.

Leider findet sich unter Hübners Zitaten keines von dem gewiegten Theologen und persönlichen Freund Teilhards Henri de Lubac. Nur ganz wenigen Geistern ist die Gabe einer so vorsichtigen und einfühlsamen Kritik geschenkt, wie sie Lubac immer wieder unter Beweis stellt. Kritik ist eben nicht nur Sache des Verstandes, sondern der ganzen Persönlichkeit, die nicht zuletzt durch Herzenstakt ihre Reife zeigt, besonders, wo es sich um Personen und nicht bloß um Lehren oder Strömungen handelt, die es zu kritisieren gilt. Bei Teilhard lassen sich Person und Werk nicht trennen. So untersucht Lubac im ersten Teil seiner Arbeit das Gebetsleben Teilhards und interpretiert im zweiten Teil eine Schrift, die viel Staub auf gewirbelt hatte: „Wie ich glaube“ (comment je crois). Lubac schafft mit der Subtiiität seiner Untersuchungen keineswegs alle Schwierigkeiten, Unklarheiten und Ungenauigkeiten einfach aus der Welt, er weist auf sie ausdrücklich hin, doch fordert er, daß man sich an die elementaren Regeln einer Textauslegung halten müsse und auch die „Theologenwürde“ nicht von der Pflicht entbinde: „die Gedanken eines anderen genauer zu studieren bevor man sie als phantastische Hirngespinste behandelt“. Das ist an die Adresse des berühmten Garrigou-Lagrange gerichtet und einiger anderer, im „Osserva- tore“ z. B. schreibenden Theologen. All die Probleme, die in der Diskussion um Teilhard so viel Kopfzerbrechen bereiten (Pantheismus, Vermischung von Natur und Übernatur, Glauben und Wissenschaft usw.), versteht Lubac aus seiner Haltung heraus — „man muß zu einem erlebten Verständnis der Texte gelangen, bevor man sie kommentiert“ — aufzuhellen und zeigt, wie Teilhard, gerade in seiner persönlichen Frömmigkeit, einem „traditionellen Katholizismus“ verpflichtet war. Dieses „unselige Schlagwort“ vom traditionellen Katholizismus, mit dem sich Aktivisten und Progressisten billige Lorbeeren zu verdienen suchen, nimmt Lubac sofort zu Beginn unter die Lupe. Wer so arbeitet, „führt einen tödlichen Schlag gegen den Glauben“ „Die schönsten Anregungen des Christentums, die kühnsten, die neuesten und dauerhaftesten sind immer wie Blüten der katholischen Überlieferung entsprungen.“ Und gerade aus der tiefen Verwurzelung in der Tradition hat Teilhard die ausdrucksvollsten Kräfte gezogen. Im Munde eines so „fortschrittlichen“ Konzilstheologen wie Lubac klingen solche Worte unverdächtig, und er versteht es, die „Römische Achse“ der Person und des Werkes von Teilhard sichtbar zu machen.

Der Band „Frühe Schriften“ rechtfertigt Lubacs Kommentar. Diese ersten Schriften, deren Titel aus dem Briefwechsel mit seiner Schwester während des ersten Weltkrieges bekannt sind, liegen hier erstmalig im deutschen Sprachraum vor. An ihrer Herausgabe hat Lubac mitgearbeitet. Und sie beweisen, wie Teilhard aus einem intensiven Glaubens- und Gebetsleben seine spezifische Weltschau gewonnen hat. „Ich will die Stufen aufzeigen, die ich selber wirklich zurückgelegt habe... lange habe ich aus dieser Schau allein gelebt, die mir Gott allenthalben unmittelbar und berührbar gab.“ Man kann ihn also aus purer Ehrlichkeit nicht von Ebenen aus beurteilen, auf denen er gar nicht gestanden hat und stehen wollte. Deswegen betont er ja, daß er weder Philosophie noch Theologie betreiben will, sondern einfach Phänomenologie, Beschreibung der Phänomene, die er von seinem Glauben her interpretiert; so wie man niemand einen Vorwurf machen kann, wenn er sich an einem Sonnenuntergang begeistert, obwohl er doch als gebildeter Europäer wissen müßte, daß es ihn eigentlich nicht gibt. „Ich beabsichtige nicht eigentlich Naturwissenschaft oder Philosophie, noch weniger Apologetik vorzulegen. Ich eröffne vor allem glühende Augenblicke.“ Jeder Mensch hat als Mensch die Möglichkeit im Glauben zu Gott vorzudringen, ganz gleich welcher Berufsschicht er angehört oder welchen Bildungsgrad er erreicht, je mehr er aber dann an Wissen aufnimmt, um so mehr wird er es in seinem Glauben assimilieren. Er wird sich trotzdem nicht „ziellos im Wind“ seiner Gefühle oder der Zeitströmungen schwingen lassen, sondern „aus der tiefen Logik der Dinge und Haltungen“ Ziel und Sinn seines Lebens finden, betont Teilhard.

Teilhard hat sicher im Laufe seiner Forschungen, was er in seinen Meditationen geschaut hatte, mit wissenschaftlichem Material zu interpretieren und belegen versucht, doch er selbst wußte, wie das Ideal der Vollständigkeit einfach nickt erreicht werden kann. Alexander Gosztonyi setzt hier ein. Nicht nur, daß Teilhards Weltbild weiteren gebildeten Kreisen nahezubringen versucht, er will auch „auf Grund der Andeutungen und Konsequenzen, die Teilhard für die weitere Problemstellung selbst zog“, weiterdenken bzw. mit neueren wissenschaftlichen Ergebnissen ergänzen. Im Schlußkapitel zeigt er dann in popularisierter Form auf, welche Probleme Teilhards Denken für Philosophie und Wissenschaft aufgeworfen hat.

Daeckes umfangreiches, gründliches und kritisches Buch befaßt sich mit den theologischen Fragestellungen, zu denen Teilhards Weltbild zwingt. Wohl steht nach dem Buchtitel die evangelische Theologie im Vordergrund, doch sind die „Weltlichkeit Gottes und die Weltlichkeit der Welt“, die Gott-ist-tot-Theologie und das religionslose Christentum heute auch zu Themen der katholischen Theologie geworden, so daß wir uns mitten im nachkonziliaren Dialog befinden. Teilhard selbst hatte an diesen theologischen Kontroversen kein ausgesprochenes Interesse. So lebte er z. B. mit Paul Tillich vier Jahre in New York zusammen, ohne daß sie einander getroffen hätten. „Trotzdem wird deutlich, daß Teilhard durchaus nicht der einsame erratische Bloch in der philosophisch-theologischen Landschaft ist“, als der er gern, besonders in katholischer Sicht, dargestellt wird. „Sein Denken ist nicht vom Himmel gefallen, sondern erwächst aus einer genau bestimmbaren Geistesströmung“, die eben Daecke ausführlich charakterisiert. Das geschieht nicht, um Teilhards Verdienste zu schmälern, sondern ins rechte Licht zu setzen. Aus dem gleichen Grund wehrt sich Daecke auch gegen „vorsichtig dosierte Interpretationen“, die Teilhard im Vatikan „hoffähig“ machen sollen. „Besonders seit dem Konzil versuchen zahlreiche katholische Autoren, den ursprünglich verketzerten Jesuitenpater zu rehabilitieren und ihn — indem sie seine revolutionären Gedanken entschärfen, domestizieren und in das Prokrustesbett der katholischen Schuldogmatik pressen — vor den Wagen der nachkonziliaren Weltoffenheit zu spannen.“

Im grundsätzlichen kommt Daecke den Ausführungen Lubacs sehr nahe. Zwei Hauptprobleme sind es, die er im Zentrum sieht; ein erkenntniskritisches: entwickelt sich der Glaube aus dem Wissen?, und ein ontologisches: entwickelt sich Gott aus der Welt? Also Evolution des Wissens zum Glauben und Evolution der Welt zu Gott, danach gilt es kritisch zu fragen. Wie Lubac zeigt Daecke, daß es bei Teilhard um ein „Nach-denken des vorher Geglaubten“ geht, also eine fides quaerens intellectum; seinen Glauben sucht Teilhard naturwissenschaftlich zu formulieren und zu fundieren in seiner „Ultraphysik“, und je weiter er in die Naturwissenschaft eindringt, um so umfangreicher (natürlich, was man nicht vergessen darf, entsprechend dem Wissensstand vor dem zweiten Weltkrieg). Dabei klammert er immer bewußt die philosophische bzw. theologische Fachsprache aus. „Bei Teilhards Aussagen über die Gotteswirklichkeit und über die Weltwirklichkeit und ihre Vollendung, Zusammenfassung und Personalisation in Omega handelt es sich um Glaubensaussagen, um ein Credo, ein Glaubensbekenntnis, das Teilhard erst nachträglich als auch denkbar, als auch rational einsichtig und naturwissenschaftlich nachvollziehbar intellektuell rechtfertigen will, der Glaube will sich rational verständlich machen.“ Daher auch seine Äußerungen, daß er auch als Wissenschaftler von seiner Weltschau überzeugt ist, ohne beide Ebenen miteinander „vermanschen“ zu wollen, sondern „Glauben und Wissen führen gleichzeitig auf zwei ganz verschiedenen Wegen auf dasselbe Ziel hin und konvergieren dort“.

Der Glaubensinhalt kann also auch rational-wissenschaftlich ausgedrückt werden, dieselben Tatbestände können teils als wissenschaftliche Thesen, teils als Inhalt von Glaubensbekenntnissen auf- tauchen, der Glaube soll verstehbar und denkbar und sein Gegenstand vernünftig einsehbar sein. Das be deutet aber auch, daß das positive Wissen jederzeit überholbar ist und überholt werden muß. „Wenn sich Teilhards naturwissenschaftliche Theorien als falsch oder unsicher erweisen, können sie ohne Gefahr für den Glauben fallengelassen und durch andere ersetzt werden, etwa durch die der heutigen Biochemie.“ So verstand Teilhard selbst seine theologischen und naturwissenschaftlichen Gedankengänge „nur als Ergänzung, als Korrektur der Schultheologie, als Randglossen zu ihren Systemen, als Gegengewicht gegen ihre Einseitigkeit“, er hat das mehrfach ausgesprochen. Sein Wunsch war es, daß die Leser seine

Gedanken kritisieren und korrigieren, vervollständigen, was als Anregung, nicht als Behauptung oder gar Lehre verstanden sein wollt e. „Ich bin nicht noch kann ich, noch will ich ein Meister sein.“ Kritische Ehrlichkeit (von christlicher gar nicht zu reden) erfordert also, nicht von außen fremde und inadäquate Maßstäbe heranzutragen, die notwendig zu Mißverständnissen und Verfälschungen führen müssen. Hier treffen sich der protestantische und katholische Theologe, Daecke und Lubac, und zeigen, daß zu fruchtbaren Dialogen in erster Linie das genaue Hinhören gehört.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung