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Das grobe Ja

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Die Begegnung und Auseinandersetzung mit Pierre Teilhard de Chardin, dem großen, am Ostersonntag 1955 gestorbenen religiösen Denker, nimmt von Jahr zu Jahr größeren Umfang an: das ist eine Wellenbewegung, die weit über das Binnenmeer des Katholizismus und des Christentums hinaus vordringt. Es gibt heute keinen einzigen Denker der Christenheit, an dem sich gerade auch außerchristliche und außereuropäische Köpfe und Herzen so leidenschaftlich entzünden, wie an Pierre Teilhard de Chardin. Das ist kein Zufall: außerchristliche und nichteuropäische Denker und auch religiös interessierte Menschen werfen unserem europäischen Christentum immer wieder vor, es verehre einen „toten Gott“, und seine Denker und Philosophen befaßten sich allzuviel mit der Vergangenheit. Die große Überraschung und das Faszinierende der Gestalt, des Lebensweges und des Lebenswerkes des Pierre Teilhard de Chardin besteht eben darin, daß dieser Paläontologe, Geologe, Naturforscher und Jesuit sich mit letzter Entschiedenheit dem Bedenken der Zukunft zuwendet. Die Zukunft der Menschheit und des Universums wurde in den letzten Jahrhunderten meist Utopisten, Schwärmern, politischen Falschmünzern und fragwürdigen Endzeitspekulanten überlassen. Erstmalig und bisher einmalig im Kosmos des christlichen Denkens wagt es dieser Mann, als Forscher und Beter den gesamten Prozeß der ' Entstehung, des Wachsens und des Reifens unseres Weltalls, gipfelnd im Wachstum der Menschheit und zentral im Gottmenschen, im „kosmischen Christus“, ins Auge zu fassen und darzustellen. Sein Blick geht gleichzeitig rückwärts in die 300 Millionen Jahre des Lebens auf unserer Erde, wie vorwärts in die Zukunft. Erschrocken und verwirrt sehen nicht wenige Gläubige auf die Kühnheit dieser seiner Vision eines in stetem Wandel wachsenden und sich höherentwickelnden Kosmos, a kommt nun die, deutsche Übertragung eine „kleinen“ kostbaren Dokuments gerade zurecht. SPierre Leroy, ein jüngerer Mitbruder Teilharä de Chardins, ebenfalls Paläontologe und ihm kameradschaftlich verbunden in der Forscherarbeit in China und Amerika, schildert hier mit der unnachahmlichen, für den besten Geist der Gesellschaft Jesu so charakteristischen Verbindung von Nüchternheit, hoher Aufmerksamkeit für das Objektive und zarter Liebe den Lebensweg seines großen älteren Gefährten. Hier wird ein Zeugnis abgelegt, das niemand „übersehen“ kann, der sich der beglückenden und aufregenden Begegnung und Auseinandersetzung mit Teilhard de Chardin stellt. Im Schlußteil seines Berichts teilt Pierre Leroy den einzigartigen Brief Teilhards an den General der Gesellschaft Jesu in Rom, geschrieben in Cape Town am 12. Oktober 1951, mit, in dem Teilhard de Chardin als „ein einfaches, offenes Bekenntnis“ seinen Gehorsam dem Orden und der Kirche gegenüber und seine wissenschaftliche Arbeit mit Überzeugung bekundet. Dieser Brief beginnt mit dem Satz:

„Der Augenblick, in dem ich Afrika verlasse (das heißt nach zwei Monaten Arbeit und Ruhe auf dieser Erde), scheint mir geeignet, Ihnen in wenigen Worten darzulegen, was ich denke und wie weit ich innerlich gekommen bin — ohne zu vergessen, daß Sie, der General' sind, doch zugleich auch (wie vor drei Jahren, bei unserer nur allzu kurzen Unterredung) mit jenem Freimut, der einer der kostbarsten Schätze der Gesellschaft Jesu ist.“

Behutsam weist Leroy darauf hin, wie sehr dieser große Liebende Pierre Teilhard de Chardin in seinem Innersten getroffen wurde durch die Verkennung und Anfeindung, die ihm in reichem Maße von christlichen Zeitgenossen zuteil wurde. Er aber litt, ohne zu klagen, blieb allen Menschen offen und arbeitete schlicht weiter an seinen Forschungen und an der Darstellung seiner großen Vision. „Er ist eines plötzlichen Todes gestorben — wie er es immer gewünscht hatte —, in vollem Wohlbefinden, in der kosmopolitischesten Stadt der Erde, er,, der Freund jedes Menschen auf der Welt'. Er starb mitten im Frühling, am Ostertag; freigebig goß die Sonne Ströme von Licht über die Riesenstadt an den Ufern des Hudson ... In dieser Auferstehungsfreude hat sich P. Teilhard mit seinem Christus vereint. Sein Leben lang hatte er nach der Seligkeit gestrebt, Ihn in der strahlenden Helle des Sieges zu besitzen:

Merr, weil ich Dich mit allen meinen Trieben, und in allen Ereignissen meines Lebens pktieJdu^er-laß gesucht und Dich in das Herz des Wcltstoffes gestellt, habe, Wird mir die Freude zütei\ werden, im Erglühen eines strahlenden, transparenten Alls die Augen zu schließen.'“

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