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Einmal muß dieser Versuch gelingen

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,,Was ist geschehen? Wo bin ich?" Er war gestürzt wie ein gefällter Baum. Man beruhigte ihn. Da sagte er leise: „Ich fühle, diesmal ist es schrecklich!" A n einem Spätnachmittag, am 10. April 1955, Ostersonntag war es, starb Marie-Joseph Pierre Teilhard de Chardin, jenseits der Kontinente seines Wirkens in New York, 74jährig. Davor lagen Wochen außerordentlicher Depressionen, so erzählte sein Ordensbruder Pater Leroy, sein Mitkämpfer. Er hatte erfahren, daß jene Institution, der er sein ganzes Leben gedient, zu seinem Lebenswerk ein klares „Nein" gesagt hatte.

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,,Was ist geschehen? Wo bin ich?" Er war gestürzt wie ein gefällter Baum. Man beruhigte ihn. Da sagte er leise: „Ich fühle, diesmal ist es schrecklich!" A n einem Spätnachmittag, am 10. April 1955, Ostersonntag war es, starb Marie-Joseph Pierre Teilhard de Chardin, jenseits der Kontinente seines Wirkens in New York, 74jährig. Davor lagen Wochen außerordentlicher Depressionen, so erzählte sein Ordensbruder Pater Leroy, sein Mitkämpfer. Er hatte erfahren, daß jene Institution, der er sein ganzes Leben gedient, zu seinem Lebenswerk ein klares „Nein" gesagt hatte.

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Nein war gesagt zudem Ergebnis eines jener ganz seltenen Leben voll des Empfindens und der Tapferkeit, aus deren Stille die Fundamente unserer lauten Kultur bestehen. Es ging, wie man weiß, um große Dinge: um Evolution, um Kirche und Wissenschaft. Das Größte aber ist Teilhard de Chardins Leben selbst. Und so lange solche Leben den Synthesen des Menschentums geweiht bleiben - die Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft so verachtend wie die Kreatur liebend -, wird unsere Kultur selbst im Schritt dieser Evolution bleiben.

Denn alle werden dann, wenn jene nicht mehr sind, an ihnen herumbosseln, generationenlang. Kleriker, Philosophen, Geistes- und Naturkundler. Alle werden - so wie wir - sich dazu berufen fühlen. Schüler werden die Lebensdaten zu memorieren haben. Und wir Gebildeten werden wissen - was eigentlich? , daß Teilhard de Chardin ein bedeutender, von den Jesuiten zu seiner Zeit untersagter Jesuit gewesen ist.

Man denke sich einen verwilderten Schloßpark. Alter Baumbestand. Früher kiesbedeckte Wege. Schloß Sarce-nat, Rundtürme, Wirtschaftsgebäude. „In Ermangelung eines Besseren zog ich den wirklich zu zarten Schmetterlingen die Käfer (Coleopteren) vor", erklärt der Junge, „je verhornter und robuster sie waren, umso besser."

Jesuitenkollegium, Noviziat der Gesellschaft Jesu, auf Jersey, Vertreibung der Jesuiten aus Frankreich. Der hochgewachsene Teilhard de Chardin ist zwanzig. Ein Leben des Wanderns und Verbotenseins hat schon begonnen.

Philosophiestudium, Chemie- und Physiklehrer am College de la Sainte-Famille in Kairo. „Letzten Sonntag habe ich meine ersten Unterrichtsstunden in den Ausläufern des Mokattam zu vergessen versucht, was mir außer einem bemerkenswert fossilen Seeigel . .."

Priesterweihe und Paläontologie in England. Geistige Begegnung dort mit dem englischen Evolutionismus, da mit Henri Bergsons ,elan vital'. Frankreich nun mitten im Ersten Weltkrieg. Das Werk beginnt: „La vie cosmique". Das Manuskript, datiert ,Nieuport, 24. März 1916', enthält grob schon alles, was „Le phenomene humain" einmal enthalten wird.

„Es gibt eine Kommunikation mit Gott durch die Erde." Er verfaßt „Christus in der Materie". Der Provinzial antwortet beunruhigt. „Er hat sichtlich Angst (sehr liebevoll übrigens), mich in Pantheismus versinken zu sehen ... Es muß offenbar eine orthodoxe Sprache gefunden werden . . .".

Die Angst des Provinzials war begründet.

Und nun hat alles seinen Gang genommen. Versetzung nach China 1923. Die Sprache wird gesucht. Zweite China-Reise, Pekingmehsch, Afrika, Mandschurei. Neue Bücher, Java. Wieder Versetzung nach China, dort festgehalten. Zweiter Weltkrieg.

Man muß sie lesen, diese Bücher, in ihrer Verschränkung von Mystik und Wissenschaft. Die Sprache wird weitergesucht. Sie ist jener Keplers oder Para-celsus' ähnlich, moderner nur. Der Orden kann keines anerkennen. Er kann es wirklich nicht. Und Teilhard de Chardin kann nichts verleugnen. Aus Kapstadt am 12. Oktober 1951 sein letzter Brief nach Rom an den Ordensgeneral Hw. P. Janssens:

„Christus wirkt im Zentrum und auf dem Gipfel der Schöpfung und führt sie zu ihrer wesentlichen Vollendung . . . Ein Einwand, das gebe ich gern zu, bleibt bestehen. Rom könnte berechtigterweise urteilen, daß meine Auffassung des Christentums in ihrer gegenwärtigen Form voreilig oder unvollkommen . . ."

Rom muß urteilen. Unsere Kultur faßt nur eine einzige Wahrheit. Er empfängt den „Rat", nun in New York zu bleiben. Das tut er. „. . . diese Menge von Bewußtsein, die bei lebendigem Leib in die Dornen geworfen wurde . . .", ist fast die einzige Klage, die sein Leben hinterläßt. Dann fällt er wie ein Baum.

Was also war geschehen? Warum konnte der Klerus nicht zustimmen, warum mußte Teilhard de Chardin sich aufbäumen, warum mußte er fallen?

Unsere an der Kurzsicht des „Verursacherprinzips" trainierte Urteilskraft mag da ein verstocktes Dogma sehen, dort einen Wagehals. Bei unserer Unfähigkeit (was ich als Schulfuchs sagen darf), das Wesentliche zu unterrichten, nämlich das Dilemma des Menschen, werden wir die Wurzeln auch nicht gleich sehen. Sie liegen in der Schizophrenie der abendländischen Gesellschaft.

Diese legitimiert nicht nur bis heute ihre sozialen Auseinandersetzungen mit Religionskriegen und solchen der Ideologie. Sie kannte nicht nur Judenverfolgung, Inquisition, Christenverfolgung. Ihre Spaltung in Leib und Seele, Geist und Materie findet sich ebenso schon zwischen Piaton und Aristoteles wie in den Inszenierungen gegenwärtiger Disputationen.

Unsere Kultur verträgt es, mit der phantastischen Ideenwelt des Idealismus, etwa Hegels, alle Welterklärung zu beanspruchen, und, das Ganze auf den Kopf gestellt, in der nur verkehrt phantastischen Ideenwelt des dialektischen Materialismus dasselbe nochmals zu beanspruchen; in unverträglicher Weise. Und wir verlangen nach keiner Instanz, die hier nach dem Rechten sieht. Feuer und Schwert hatten zu entscheiden. Damals wie heute.

Wir haben unsere Welt dort auseinandergebrochen, wo es für uns Menschenwesen am schmerzlichsten sein muß. Wir haben sogar Geistes- und Naturwissenschaften getrennt; unser unnatürliches Weltverständnis offenbar vom ungeistigen. Und wer sich hier bei Übertretungen fassen läßt, der darf von beiden Lagern ausgestoßen werden. Und wo befände er sich dann? Teilhard de Chardin hat das Antimenschliche dieses Schismas angefaßt. Wer also hätte ihn anerkennen können?

Hätte ihn die Kirche anerkennen können, die damals noch vor der Enzyklika „Humani Generis" noch nicht einmal die somatische Evolution, das Werden der Menschengestalt, anzunehmen vermochte; aus eben jenen Java-und Peking-Menschen, welchen Teilhard de Chardin nachgezogen war? Konnte ihn aber eine Naturwissenschaft schützen, wo er in der Evolution der Kreatur einen auf ein geistiges Prinzip, wie auf ein Ziel zulaufenden, zweckvollen Prozeß sah? Wo wären denn die Zwecke in der Physik, die Ziele in der Kinetik chemischer Reaktionen?

Und weil man dort die Natur des Geistes nicht erkennen kann und da nicht den Geist der Natur - was wäre anzuerkennen gewesen?

Liegen aber nicht zudem Glauben und Wissen auf getrennten Ebenen, unberührt, wie viele behaupten? Unbe-rührbar gewissermaßen? Hat nicht jeder wissenschaftliche Gottesbeweis versagt, ebenso wie die Widerlegung? Und was sollte Glauben umgekehrt im Objektivitätspostulat einer Wissenschaft?

Nun, auch da liegen die Dinge komplizierter in des geistigen Menschen Natur. Diese Natur unseres Geistes schreibt ja, wenn er wach ist, das zweifelnde Prüfen ebenso vor wie den Glauben; einen Glauben an Gott, an den

Zweck unseres Daseins oder den Glauben an den Menschen. Muß man tatsächlich daran erinnern? An die höchst materielle Universalität der „Re-Iigio" wie an die gläubige Hingabe an den Zweifel?

Und dennoch fürchten wir zur selben Zeit das Fleisch als sündig wie umgekehrt, mit dem Positivismus, die Metaphysik als Sünde wider den materialistischen Verstand. Und wir unterrichten beides gleichzeitig. Und wir schämen uns nicht. Nicht einmal vor Teilhard de Chardin schämen wir uns, der sich gegen solches Schisma aufbäumte.

Ob sein Versuch gelungen ist? Gewiß nicht! Man sehe nur den Hergang. Ob er aber nötig war, das ist gewiß. Denn welch häßliche Welt haben wir uns angerichtet! Dort in der Tiefe, wo sich Leib und Seele unserer Kreatur zum vollen Menschen verbinden, herrschen nur Mißtrauen und Tabus. Und sollten sich bis zu dieser Tiefe selbst Menschen begegnen, so wird unserer Gesellschaft Zynismus wach und sogar der Gesetzgeber. Und wir sind erstaunt, in unseren Gütern keinen Sinn zu finden, und in unserem Sinn finden wir einen, keine Güter. Und noch immer schämen wir uns nicht.

Ob nun der Versuch gelingen kann? Was für eine Frage! Er muß gelingen! Ob Teilhard de Chardins Wirken genützt hätte, fragte mich ein Kardinal. Was hätten Sie geantwortet? Ich sah den großen Mann vor mir und jenen, nach dem er gefragt. Und ich wußte es auch nicht. Und dann sagte ich, daß ein einziger Teilhard de Chardin vielleicht das noch nicht bringen konnte, was wir beide unter einem Nutzen verstünden; daß aber immer wieder ein solcher kommen müßte, opferbereit suchend nach der Synthese des ganzen Menschentums, diese Zivilisation nicht achtend-dann würden sie nützen. Der Versuch muß gelingen.

In je größere Tiefen wir diese Spaltung in unserem sich allmählich tiefenden Menschenbilde verfolgen, umso mehr begreifen wir das Elementare und Dringliche, uns diesem Dilemma zu entwinden. Humanität und Menschenwürde, ja das nackte Uberlebenwollen schreibt uns das vor.

„Was ist geschehen? Wo bin ich?"

Vor einem Viertel Jahrhundert war das gefragt. Nützen wir unsere bescheidenen Kräfte gemeinsam, um zu begreifen, was uns allen geschehen ist und wo wir uns befinden.

Der Verfasser ist Professor am Institut für Zoologie der Universität Wien.

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